Im Sommer war die Welt noch in Ordnung. Da schaute ich mit meiner kleinen Tochter die Bayreuther Lohengrin-Übertragung an. Sie hielt den ganzen dritten Akt aus und stellte die richtigen Fragen: „Warum ist der Prinz so sauer?“ – „Der Schwan ist ja kaputt. Nimmt der jetzt ein Taxi?“ Ansonsten turnte sie zu Miles Davis wild durch die Gegend, ahmte mit allerlei unflätigen Geräuschen Helmut Lachenmanns „Pression“ nach oder sang einfach nur „Der Mond ist aufgegangen“. Nun ist Herbst, sie ist im Kindergarten. Und wieder ist mir ein Weltbildchen zerbrochen.
Hinterrücks schlich es sich an meine höchstbegabte Tochter heran und kroch unangekündigt wie ein fieses, schleimiges, haariges Insekt in ihre liberalen Gehörgänge: das „neue religiöse Kinderlied“. Da war es. Es fiel beim Abendessen über uns her und ist vermutlich irreversibel. „Einfach spitzö, komm wir lohoben unsaren Herrn!“ tönte es und die Soße vor mir geronn vor Schreck zu einem matschigen Klump. Natürlich darf man das nicht verallgemeinern. Doch. Ganz dringend sogar. Also: Wer immer derlei Grausamkeiten verbreitet – Du „Neues Geistliches Lied-Produzent“, Du „Sakropopper“ – bitte fühl dich angesprochen: Hör auf mit dem Quatsch! Fasele auf hochglanzpolierten, rtl-zwei-haften Internetseiten bitte nichts von „kindgemäß“, was weißt Du von kindgemäß? Mit Deinem Kapodaster sollst Du die Saiten Deiner mies gestimmten Klampfe verkürzen, nicht die Geschmacksnerven meiner Tochter.
Nun gut. Du willst auf Deine Tantiemen nicht verzichten. Dann halte Dich bitte an ein paar Grundregeln: Keine Anbiederungen an dämliche Umgangssprache – kein „Hey“, kein „Yo“ und bitte: Jesus war erstens kein „cooler Typ“ – und er ist zweitens auch ganz bestimmt nicht „online“! Wenn Du schon von Musik keine Ahnung hast, versaubeutele nicht auch noch die Sprache. Deine Wortspiele sind nicht pfiffig, sondern höchstens grammatikalischer Sondermüll. Außerdem, ganz dringend: Lass das Rappen sein! Wenn ich schon gekreuzte Notenköpfe sehe, dann bekomme ich multiplen Weltraumausschlag: „Volle Kanne, Bratpfanne, oho, yeah, yeah!“ (oder so ähnlich, ich hab’s verdrängt...) ist nicht lustig. Überhaupt nicht. Nun ist bald Weihnachten und ich fürchte mich vor dem Adventssingen im Kindergarten. Soweit hast Du’s gebracht. Danke! „Singt dem Herrn ein neues Lied!“ heißt es. Einverstanden. Aber, Herr, erhöre mein Flehen: Wenn schon kein Hirn, so wirf doch wenigstens ein bisschen Geschmack herunter!