In Bayern, wo die Uhren bekanntlich anders gehen und das Leben nicht zuletzt deshalb noch lebenswert ist, weil die zehn Gebote rechtzeitig um den Schutz der Bier-Reinheit erweitert wurden, stehen dramatische Umwälzungen an: Bei den Landtagswahlen könnte die Einheitspartei unter die 50-Prozent-Marke stürzen, wo sie sich – horribile dictu – in den Niederungen demokratischer Koalitionsverhandlungen wiederfinden könnte. Die Auswirkungen auf das Wir-Gefühl im Freistaat mag man sich gar nicht ausmalen, da naht Trost von unerwarteter Seite: dem bayerischen Musikverbandswesen.
Wir erinnern uns: Knapp drei Jahre ist es her, dass mit Wilfried Hiller ein Komponist und mehr als künstlerischer Querdenker denn als Funktionär sich verstehender Präsident die Geschicke des Bayerischen Musikrats (BMR) übernahm, jener Organisation also, die jahrzehntelang und mit beachtlichen Erfolgen den engen Schulterschluss mit der Regierungspartei gepflegt hatte. Der Bayerische Musikplan, dessen Fortschreibung zurzeit mit dem zuständigen Ministerium diskutiert wird, ist nur eine von vielen Errungenschaften der Präsidenten Alexander Suder und Wilfried Anton. Letzterer konnte mit Martin Maria Krüger zudem einen Bayern an die Spitze des Deutschen Musikrats hieven – so sieht effiziente Lobbyarbeit aus.
Weniger glücklich entwickelten sich die Verbandsfinanzen, sodass 2005 die auch auf Bundesebene praktizierte Spaltung in Verein und Projektgesellschaft vollzogen werden musste. Seither wird die Außenwirkung des BMR dank eines tüchtigen und machtbewussten Geschäftsführers Jürgen Schwarz von der Musikakademie Marktoberdorf dominiert (deren Geschäftsführer Schwarz ist). Jüngstes Beispiel ist das mit sanftem Druck des Bayerischen Obersten Rechnungshofes installierte und in Marktoberdorf angesiedelte „Netzwerk Musik in Bayern“ (siehe Seite 6), wo anstelle der vielen in Schubladen vor sich hinstaubenden Konzepte zur musikalischen Bildung ein Pilotprojekt durchgezogen und auf seine Übertragbarkeit hin untersucht werden soll. Zugrunde liegt eine Initiative des Chorverbands Schwaben, zu dessen Vorsitzendem Jürgen Schwarz kürzlich (mit 100 Prozent Stimmen) gewählt wurde. Zum medienwirksamen Start des Netzwerks waren zwei Minister angereist, aus der Münchner Geschäftsstelle des BMR war dagegen niemand zugegen.
Da passt es ins Bild, dass Generalsekretär Jörg Riedlbauer sich in Kürze als Kulturdezernent ins oberschwäbische Biberach verabschiedet. Auch Hiller wirft das Handtuch und kandidiert bei der Delegiertenversammlung im November nicht mehr. Bei den Mitgliedsverbänden wird das offenbar mit Erleichterung registriert, der Kontakt zur Politik sei – so heißt es – unter Hillers Präsidentschaft vernachlässigt worden.
Abhilfe verspricht da ein Nachfolgekandidat, dem solch politikfernes Künstlertum sicher nicht nachgesagt werden kann: Hanns Dorfner, CSU-Landrat und derzeit Präsident des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen, soll bereit stehen. Dies freilich nur unter bestimmten Bedingungen, denn anders als die bereits verabschiedeten Satzungsänderungen steht eine konkrete Planung für die künftige inhaltliche Struktur des Vereins, vor allem was die Besetzung der Referate betrifft, aparterweise noch aus. Hier wartet man offenbar noch auf kompetente Ratschläge aus dem Munde der vergangenes Jahr eingesetzten Satzungs- und Strukturkommission samt ihres reformerfahrenen Vorsitzenden Martin Maria Krüger. Auch die Stelle des Generalsekretärs ist noch nicht wieder ausgeschrieben. Da stehen im Vorfeld der Neuwahlen also noch interessante Auseinandersetzungen an, doch wenn alles gut geht und auch beim Wahlvolk noch rechtzeitig Vernunft einkehrt, kann Bayerns Musiklobby in Zukunft wieder Seit‘ an Seit‘ mit den absolut Regierenden die Weichen für einen rundum musikalisierten Freistaat stellen. Landesvater Beckstein soll schon ein bajuwarisches (damit also selbstredend besseres) „JeKi“ gefordert haben. Also: Pack ma‘s!