Die Vereinten Nationen, meldete neulich die Deutsche Presseagentur, feierten ihren Gründungstag in New York. Mit Beethovens „Leonoren-Ouvertüre“, gefolgt vom Klavierkonzert Nummer 5 und Rimskij-Korsakows „Scheherazade“. Diplomaten aus zahlreichen Mitgliedsländern lauschten im großen Kuppelsaal der UN-Vollversammlung. Es spielte die „Philharmonie der Nationen“ unter Justus Frantz. Das Neujahrskonzert des Bundespräsidenten bestritt im wesentlichen mit Walzern das „Weltorchester der Jeunesses musicales“. Das Bundesjugendorchester immerhin absolvierte – unter sehr begrenztem Zutun seines Trägers, des Deutschen Musikrates (DMR) – eine „Thank-You-America-Tournee“, die ohne lebhafte Außenaktivitäten so nicht zustande gekommen wäre. Eine Absicherung des Etats dieses „jüngsten deutschen Spitzenorchesters“ mit Botschafter-Funktion – beispiels- und angemessenerweise durch Bundesmittel – ist nicht in Sicht.
Seit vielen Jahren leistet sich der Deutsche Musikrat eine Art Außenministerium: Die „Verbindungsstelle für internationale Beziehungen“ erhält ihren Millionen-Etat vom Auswärtigen Amt und agiert wie ein Closed Shop: Unter der Leitung des ehemaligen Musikrats-Präsidenten Richard Jakoby, der selbst gern und viel reist und diese Option sichtlich genießt, werden jährlich ein paar hundert Ensembles vorwiegend aus dem Laienbereich in alle Welt verschickt. Dramaturgie dabei ist von außen nicht zu erkennen. Allenfalls eine politische Dimension: Wenn sich Bundestagsabgeordnete bei den Musik-Menschen ihres Wahlkreises beliebt machen wollen, nehmen sie Einfluß auf den Auswahl-Modus. Das hat dann die Ästhetik eines Selbstbedienungs-Ladens. Was nahe läge, nämlich eine kompetente außenpolitische Betreuung beispielsweise des Bundesjugendorchesters, oder eine effektive etatstabilisierende Lobby-Arbeit, findet durch diese Verbindungsstelle allgemein erkenntlich kaum statt, allenfalls sporadisch auf unterer administrativer Ebene. Beispiel eins für mangelnde Koordination, für vertane Synergien in der Arbeit des Deutschen Musikrates. Es folgt Beispiel zwei: Seit gut anderthalb Jahren haben sich verschiedene Bundesfachgruppen im Musikrat konstituiert, die verschiedene Themenbereiche effektiv und professionell bearbeiten sollen. Sie berichten (möglicherweise) direkt dem Präsidium. Angesichts der Geschwindigkeit politischer Entscheidungsprozesse wäre eine Zwischen-Berichtserstattung an die Öffentlichkeit, oder doch wenigstens an die Vereinsmitglieder des Musikrates eine kulturpolitische Pflichtaufgabe. Zumindest bei unserer Redaktion, die auch einige Verbände betreut, ging nichts dergleichen ein. Offensichtlich hat der Musikrat zu musikpolitischen Themen keine Meinung mehr. Er war nicht einmal in der Lage, unsere Umfrage zur Funktion eines Staatsministers für Kultur zu beantworten, die wir direkt an den Präsidenten richteten (Seite 11 dieser Ausgabe). Wann hat man in letzter Zeit ein essentielles Statement zur Medienpolitik, zur sogenannten Popularmusik, zur Situation der Musikwirtschaft oder auch zur Situation der musikalischen Bildung aus dem Hause des Musikrates vernommen? Von aktiver Einflußnahme ganz zu schweigen. Im Gegenteil und drittes Beispiel: Die „Aktion Musik“, ein Handlungs-Auftrag der Generalversammlung an das Musikrats-Präsidium, für den ein guter Grundstock an inhaltlicher Vorarbeit zum Beispiel vom Verband deutscher Musikschulen bereits geleistet worden war, übergab das DMR-Sekretariat ohne konsequente inhaltliche Begleitung für erhebliches Geld an eine Profi-Agentur. Deren Scheitern war angesichts des Mangels an kontinuierlicher Betreuung seitens des Deutschen Musikrates vorprogrammiert. Man darf gespannt sein auf die Rechtfertigungslyrik des Präsidiums bei der diesjährigen Generalversammlung zu diesem Thema. Den noch nicht komplett erfolgten personellen Wechsel im Generalsekretariat des Musikrates (siehe Cluster auf Seite vier dieser Ausgabe) für all diese Defizite, deren Liste sich unschwer verlängern ließe, verantwortlich zu machen, wäre eine Geschichtsklitterung. Die Weichen für das teils sehr effektive, sehr selbständige Agieren der Projektleiter des DMR wurden in der Amtszeit von Andreas Eckhardt gestellt. Ob dahinter ein Divide-et-impera-Denken, eine gewisse Trägheit oder ein anderer Plan stand, mag das künftige Einzelmitglied des Rates höchstpersönlich äußern – oder auch nicht. Das blasse Bild, das der Dachverband in der Öffentlichkeit, und zwar in der politischen wie in der kulturellen abliefert, muß der ehemalige Generalsekretär jedenfalls mitverantworten. Erstaunlich an Kraft und politischer Präsenz hat in letzter Zeit der Deutsche Kulturrat gewonnen. Unter einem streitbaren, klugen neuen Generalsekretär.Hauptrubrik
Deutscher Musikrat: Feuer am Dach, Schwamm im Gemäuer
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