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Sven Ferchow. Selfie

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Die Kunst war eine Tochter der Freiheit

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Ferchows Fenstersturz 2024/12
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Da hat der alte Schiller aber ordentlich daneben gelangt. Von wegen die Kunst ist eine Tochter der Freiheit! „War“ muss es heißen! Zumindest, wenn man Popmusik als Kunst betrachtet. Fast ist man geneigt, dem alten Friedrich die Zeilen eines anderen deutschen Texters namens Westernhagen entgegenzuhalten: „Freiheit ist die Einzige, die fehlt“. Sollte man aber auch nicht überschätzen, Westernhagens Zeilen. Sonst möchte der gleich sein siebtes Bundesverdienstkreuz an die Brust genagelt bekommen. Trotzdem. Frei bleibt bei Popmusik nichts mehr. 

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Wenn Sie Konzerttickets wollen, müssen Sie eine Kegelclub-Mitgliedschaft nachweisen oder noch schlimmer: einen Telekom-Festnetz Vertrag. So kommen sie in den Recall. Blechen dürfen Sie aber erst, wenn Sie den Backgroundcheck (Instagram, X und WhatsApp) bestanden haben und bisher nicht mit anti-woken Kommentaren geglänzt haben. Dann gibt es Tickets im Oberrang. Hinter der veganen Bockwurstkanone. Ähnlich unfreiwillig gestaltet sich die Auswahl der Musik-Streamingdienste. Je nach Verdienst müssen Sie sich da Werbung mit Dialogen aus der Hölle gefallen lassen. 

Oder dürfen für lau nur mono hören. Komplett recht- und wehrlos ist man sowieso bei privaten wie öffentlichen Radiosendern. Die entscheiden nämlich algorhythmisch, welche Kirmes-Mucke uns gefällt. Grotesk wird es nun mit einer gänzlich neuen Unfreiheit, die Bob Dylan zu verantworten hat. Jener erließ für seine laufende Tournee ein absolutes Handy-in-die-Halle-Mitbringverbot. Die wurden am Eingang einkassiert. Und alle haben brav mitgemacht. Ein echter Skandal. Der größere Eklat ist jedoch, dass die Konzertbesucher klaglos ihr Handy abgaben. Dabei lässt sich statistisch nachweisen, dass 80 Prozent dieser Leute während Corona monatelang vor dem Bundesverfassungsgericht campierten, weil sie mit ihrer Töle nur bis 22:00 Gassi durften. Die geben also jetzt protestlos ihr Handy ab. 

Die allergrößte Schmach ist aber, dass die Presse, die sonst pflichtbewusst aus dem Catering-Bereich röchelt und sich empört, wenn bei Taylor Swift nur während der ersten drei Songs Fotos erlaubt sind, ob dieser Grundrechtsbeschneidung stumm bleibt. Da gab es wohl vorab signierte Bob Dylan Deluxe-Alben. Zur Beruhigung. Im Ernst, Mr. Dylan. Frech den Nobelpreis akzeptieren, aber dann Menschen ihrer Grundrechte berauben? Geht nicht. Was wird sich die Kreativindustrie dann als Nächstes einfallen lassen? Eine BYOW-Regel (Bring Your Own Wife to the concert)? Oder eine kategorische Wochentags-Regelung für Konzertbesuche: montags non-binäre Personen, donnerstags ausschließlich per klimaneutraler Anreise und freitags nur trinkfeste Wochenendalkis? Man könnte auch das Prosttrinken mit Bierflaschen während des Konzerts verbieten. Falls einige Künstler durch das „Pling“ ihr Gesamtwerk in Gefahr sehen. Liebe Musikkreative, Kandinsky sagte einst: „Es gibt kein Muss in der Kunst, denn die Kunst ist frei.“ Ich bitte um Beachtung.

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