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Die Macht der Kritik

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Es ist immer billig, zu behaupten, früher sei alles besser gewesen. Mit schöner Regelmäßigkeit wird das über die Musikkritik gesagt: von Konzertbesuchern, die das, was sie gehört haben, im Geschriebenen nicht mehr wiedererkennen, von Radiohörern, denen das Moderatorengerede auf die Nerven geht, und nicht zuletzt von den betroffenen Akteuren selbst, den Interpreten und Komponisten, die sich auf unqualifizierte Weise abgeurteilt fühlen. Das Argument lässt sich nicht beiseitewischen mit der Bemerkung, so redeten nur rückwärtsgewandte Interpreten oder aussterbende Bildungsbürger, die ihrem Furtwängler nachtrauern. Wenn eine international bekannte Geigerin, die im klassischen wie im zeitgenössischen Repertoire gleichermaßen zu Hause ist, gesprächsweise feststellt, sowohl der Wille als auch die Fähigkeit zu einer qualifizierten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand sei der heutigen Musikkritik weitgehend abhanden gekommen, so ist das ernstzunehmen.

Kritiker wie der verstorbene Albrecht Roeseler, der seine Kompetenz mit einem viel gelesenen Buch über die großen Geiger untermauern konnte, hätten Maßstäbe gesetzt, sagt sie, und damit könnten es die heutigen Überflieger nicht mehr aufnehmen.

Fakt ist: Die Musikkritik hat schon länger mit einem Ansehensverlust zu kämpfen. Doch damit steht sie nicht allein, auch anderswo ist der Glaube an die die Deutungshoheit der Meinungsführer gesunken. Etwa in der Wirtschaftspublizistik, wo im Verein mit der Politik in Sachen Euro gelogen wird, dass sich die Balken biegen. So schlimm ist es im Kultursektor nicht. Aber die Literaturkritik sieht sich zum Beispiel mit einer Heerschar von Amazon-Laienrezensenten konfrontiert, die sich in Argumentation und Sprachduktus vom Profikritiker manchmal nur geringfügig unterscheiden und über die Vordenker in den Feuilletons nur milden Spott ausgießen. Den Vorwurf, rein subjektiv oder sogar aus einer verdeckten Interessenlage heraus zu urteilen, kontern sie mit dem Argument, in der professionellen Kritik gehe es doch auch nicht anders zu, nur würde das dort auf virtuose Art verschleiert.

Die Entwicklung hat einerseits objektive Ursachen: Je größer die Krise im Printgewerbe, desto knapper die Zeilen. Und so wandert der kritische Diskurs ab ins Internet und gerät unter Kontrolle einer neuen Spezies von Journalisten: Salopp formulierende Blogger, die Kritik als Produktion von hochglanzpolierter Wegwerfware betreiben. Dann gibt es die Diskussionsforen, wo die behäbige kommunikative Einbahnstraße der Zeitung der schnellen Interaktion Platz gemacht hat und die ex cathedra formulierte Print-Kritik von den Onlinelesern genüsslich zerfetzt wird. Der Nachteil dieser hierarchiefreien Turbo-Kommunikation liegt auf der Hand: Wo jeder den Fachmann spielen darf, gehen komplexere Argumente im allgemeinen Meinungsrauschen schnell unter, und was morgens geschrieben wird, ist am Nachmittag schon vergessen. Ein Buch über Geiger muss dem digitalen User wie ein Fossil aus der Holz-Ära vorkommen.

Andererseits sind die Nachfahren der guten alten Musikkritik auch ein Stück weit selbst schuld an ihrem Prestigeverlust. Unter dem Druck der Verhältnisse – kürzere Zeitabläufe, verringerte Zeilenzahl, Konkurrenz von außen und unerbittlicher Normzwang im Inneren – kümmert sich der Zeitungskritiker heute übermäßig um das stromlinienförmige Äußere seiner Texte: Die „Schreibe“ soll leicht lesbar sein, die Story muss „rüberkommen“ und das Wesentliche eines Werks oder einer Interpretation auf knappstem Raum wiedergegeben werden. Dann heißt es zum Beispiel: „In der Prokofieff-Sonate gelang es dem Pianisten mit Erfolg, sein Instrument zu demolieren.“ Punkt. Nichts weiter zu Werk und Interpret. Um hierzulande niemandem zu nahe zu treten: Das Zitat stammt aus einem führenden englischen Blatt.

Mit solcher Häme profiliert sich der Kritiker auf Kosten des Interpreten. „Es tut einem Musiker weh, so etwas zu lesen“, sagt dazu die erwähnte Geigerin, „wir arbeiten jahrelang an einem Werk und geben im Konzert unser Herzblut, und dann kommt einer und macht mit einem einzigen Satz alles kaputt. Das kann einen Musiker für lange Zeit lähmen.“

Die Frage nach der Macht des Musikkritikers ist so alt wie das kritische Gewerbe selbst. Früher zeigte sie sich in der subtilen Vernetzung mit den lokalen Institutionen, den guten Kontakten zum Generalmusikdirektor und zu den internationalen Stars, womit der festangestellte Kritiker seine Autorität nach innen und außen glaubhaft absichern konnte. Diese Rolle hat er heute weitgehend verloren, ebenso die Garantie sozialer Sicherheit. Und so wächst die Versuchung, den realen Machtverlust durch psychologische Machtstrategien zu kompensieren und die eigene Frustration an der Musik und den Musikern auszuleben. Wer so handelt, schadet nicht nur der Musik, sondern auch dem eigenen Ansehen. Und das Publikum sagt zu Recht: Früher war die Musikkritik besser.

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