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Dr. Hackenbush

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Dass Kapitalismus irgendwie mit Betrug zu tun hat, ist eine Vermutung, die einen immer mal wieder beschleicht, die man aber als eine besonders unanständige selbstverständlich auch immer gleich wieder verdrängt. Etwa dann, wenn man erfahren hat, dass der Zweitschlechteste in der Schule, der seinen Kameraden immer defekte Radios verkauft hat, mit dreißig Besitzer eines Nachtklubs nebst Villa an der Côte d’Azur geworden ist. Oder bei jenem Witz vom Klassentreffen, bei dem der Lehrer seinen allerdümmsten Schüler fragt, was er denn nun so treibe, und der antwortet: „Wissen Sie, ich kaufe Schrott das Kilo für eine Mark und verkaufe ihn für vier, und von diesen drei Prozentchen lebe ich.“

Dass Kapitalismus irgendwie mit Betrug zu tun hat, ist eine Vermutung, die einen immer mal wieder beschleicht, die man aber als eine besonders unanständige selbstverständlich auch immer gleich wieder verdrängt. Etwa dann, wenn man erfahren hat, dass der Zweitschlechteste in der Schule, der seinen Kameraden immer defekte Radios verkauft hat, mit dreißig Besitzer eines Nachtklubs nebst Villa an der Côte d’Azur geworden ist. Oder bei jenem Witz vom Klassentreffen, bei dem der Lehrer seinen allerdümmsten Schüler fragt, was er denn nun so treibe, und der antwortet: „Wissen Sie, ich kaufe Schrott das Kilo für eine Mark und verkaufe ihn für vier, und von diesen drei Prozentchen lebe ich.“ In solchen Momenten stillen Zweifels wirken die Wahrsprüche, mit denen wir erzogen worden sind, als wahre Retter in der Not. Etwa „Ehrlich währt am längsten“ oder andere Lebensweisheiten aus Johann Peter Hebels Schatzkästlein. Pädagogisch richtig eingesetzt, beseitigen sie in Windeseile jeden fundamentalen Zweifel an der Korrektheit des Systems, in dem wir leben, und wecken in uns die wackere Überzeugung: Wer zweifelt, kann nur ein Systemfeind sein! Und die sind bekanntlich anderswo zu finden.

Doch nun, knapp ein Jahr nach dem denkwürdigen Tag, an dem das Netzwerk bärtiger Fanatiker im fernen Afghanistan ultimativ als Hort alles Bösen enttarnt wurde, beschleicht uns wieder so eine unanständige Ahnung, dass die wahren Systemfeinde vielleicht ganz woanders sitzen. Etwa doch nicht etwa in ...?

Pfui, New York ist schon gebeutelt genug! Und Washington, Halt! Dort sitzt doch die Regierung, die versprochen hat, die Bilanzbetrügereien in den Vorstandsetagen mit Haut und Haar auszurotten! Zum Glück gibt es da einen Vizepräsidenten, der dank seiner überaus engen Kontakte zum Ölkonzern Enron genau Bescheid weiß, wie solche Betrügereien zustande kommen und wie man sie bekämpft.

Doch diese dumpfen Ahnungen und Vermutungen! Nun haben sie offenbar sogar diejenigen beschlichen, die an der Wall Street für die Glaubwürdigkeit des ganzen Systems zuständig sind. Kredit kommt ja von Glauben, und daran schien es auch diesen merkwürdigen Hohepriestern des globalen Finanzkults plötzlich zu fehlen. Ließen sie doch die Kurse nach Bekanntwerden der Bilanzfälschungen von Enron, Worldcom und anderer hoch angesehener Pleitefirmen noch tiefer fallen als nach dem elften September. Meinten sie etwa, dass vielleicht die Falschen im orangen Dress in Guantanamo einsitzen?

Der Blick in den schwarzen Abgrund war indes nur von kurzer Dauer. Die Gesetze der Seifenoper übernahmen wieder das Kommando mit der dramaturgisch interessanten Fragestellung: Was kommt im Moment größter Anfechtung? Antwort: Auftritt des Weißen Ritters! Der Präsident gibt sein heroisches Credo für die beinahe ewigen Werte ab, alle lesen ganz schnell Johann Peter Hebel, und alles ist wieder gut. Die Kurse steigen wieder. Noch Fragen?

Die Handlungsmodelle der Amtsträger dieser Welt werden zwar von Scharen von wissenschaftlichen Beratern, Analytikern, Geheimdienstlern und PR-Spezialisten ausgebrütet und vermitteln dem Politik-Zuschauer den Eindruck von autonomen Willensakten. Doch folgen sie im Grunde eher dem Muster: So tun als ob, und das Ganze bitte fernsehspezifisch. Es ist das Muster der Marx Brothers, die ihre größten Lacherfolge mit Szenen nach dem Motto „je dreister, desto erfolgreicher“ errungen haben. „A Day at the Races“: Groucho Marx als angemaßter Pferdearzt Dr. Hackenbush, der sich einer hysterischen Gesellschaftsdame als Wunderheiler empfiehlt. „A Night at the Opera“: Die Brothers als schwarze Passagiere auf dem Luxusdampfer, die sich bei der Landung mit falschen Bärten ausstatten und vom New Yorker Bürgermeister als kühne russische Flieger gefeiert werden. Bis plötzlich ein Bart ab ist und der Schwindel auffliegt.

Groucho Marx war auch bekannt für die unglaubliche Gewandtheit, mit der er in seiner erfolgreichen Radioshow „You Bet Your Life“ die von Gagwritern vorformulierten Texte von einer Schrifttafel der Vorform des heutigen Teleprompters ablas und dabei den Eindruck erweckte, es seien seine spontanen Witze. Damit ist aber auch schon Schluss mit den Parallelen. Während die Marx Brothers sich offen über ihre eigenen Einfälle lustig machen und das Publikum damit umso mehr zum Lachen bringen, glauben die Politiker an die Sprüche auf dem Teleprompter. Zum Lachen ist das bekanntlich nicht. Und wenn einmal der Bart ab ist, wird er eben wieder angeklebt und so getan, als sei nichts gewesen. Auch das ist leider überhaupt nicht komisch.

Es heißt, im Fernsehzeitalter müssten sich die öffentlichen Funktionsträger den Gesetzen des Entertainments unterwerfen, wollen sie „draußen ankommen“. Nachhilfestunden bei Groucho wären da sicherlich ein Segen, um die eigene Politik zu verkaufen – nicht nur, damit am richtigen Ort gelacht wird. Die Bilanzkünstler des heutigen Show-Kapitalismus sind da schon weiter, denn ihre Logik gleicht dem, was Groucho als Wirtschaftsberater Dr. Flywheel einem Kaufhausbesitzer erzählt, um das lahmende Geschäft zu beleben. Er empfiehlt ihm die Einrichtung eines Dollar-Verkaufsstands: „Wenn Sie die Dollars für fünfundneunzig Cent verkaufen, dann gehen die Dinger weg wie warme Semmeln.“

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