Es ist bald nicht mehr zum Aushalten: die Diskrepanz zwischen Ankündigung und dem Ereignis. Überall! Bei der Olympiade zum Beispiel wurde der 200 Meter Freistil Auftritt von Franziska van Almsick zu einem Ereignis auf Leben und Tod hochgepuscht, zum Wahnsinn des zu erreichenden Goldes (das mit Blick auf die Form gar nicht realistisch war).
Nur das Gold werde den Schwimmsport des jungen und jüngsten Nachwuchses noch zu retten in der Lage sein. Kurz vor Start erhöhte sich vermutlich der gesamtdeutsche Durchschnittspuls auf das Doppelte. Und dann zwei Minuten, die wie ein Gasballon mit Loch verpufften: ein existenzielles Sinnloch. Nicht Franziska trifft die Schuld (überhaupt nicht!, sie zeigte sich später sehr besonnen, dachte über ihr Leben nach, über das Verhältnis von Weg und Ziel; die FAZ vermerkte sogar eine Faszination des Scheiterns). Wohl aber trifft Schuld die immer verzweifelteren Mechanismen des sensationslüsternen Anpreisens.
Sind wir wirklich schon so geistig verarmt, so mit Brettern verbaut, dass nur noch die vorhergesagte Sensation unsere Aufmerksamkeit erregt? Auf allen Gebieten zählt nur noch dieser Kick: beim Sport, in der Politik, bei der Kultur. Und das meist allzu schnelle Zusammenbrechen des als „endkrasser Superevent“ Angekündigten stellt eine stetige Wellenbewegung aus sich stauender Erwartung und Verpuffungszonen her. Auf der Strecke bleibt das Ereignis selbst. War es wirklich so eine glückliche Eingebung Wolfgang Wagners, dass er den Versuch Christoph Schlingensiefs, sich dem Parsifal zu stellen, als ein Ereignis ankündigen ließ, das Bayreuth zum Brennen brächte.
Schon letzte Pressekonferenzen vor der Aufführung verneinten dann die Brandgefahr, doch wohl nur in der Absicht, die Spannung weiter hochzuhalten (wenn nicht Feuer, was dann?). Nach der Premiere tat sich wieder ein Loch auf. Wie immer erstickten die Marktschreie. Wo war die Sensation hingekommen? Was Schlingesief eigentlich tat und wollte entzog sich bei der angestrengten Suche nach dem Knalleffekt dem Bewusstsein. Wir warten auf den nächsten Hype auf unserer Berg- und Talfahrt enttäuschter Sensationen. Und willig bleiben wir Betrogene.