Body
Es gibt die Spezies des Musikwissenschaftlers ja eigentlich noch gar nicht so lange. Dennoch hat diese Zeit genügt, um ein Fach an den Abgrund der Belanglosigkeit zu treiben. Klar, auch dort kommt es gelegentlich zu relevanten Forschungsberichten, aber der Zustand des Faches seit den 70ern hat sich eklatant verschlechtert. Die Studienbedingungen wurden immer stärker verschult, der Spaß am produktiven Streit ist verebbt. Woher ich das weiß? Ich bin selbst Musikwissenschaftler, und ich klage mich an. Gegenwärtig fällt das Studienfach in vier Gruppen auseinander. Die Professoren, die Mückenschißsucher, die opportunistischen Studenten und die Theorien-Avantgardisten. Schnittmengen aller Art ergänzen diese Aufzählung.Professoren: Ein Haufen geglückter Lebensläufe oder vergluckter Cliquenfuzzies, trauen den Studis in der Regel nichts zu, vor allem keine Selbständigkeit. Sie kungeln um Besetzungen, streiten sich unbarmherzig vor allem beamtenrechtlich und leben von dem ersparten Wissen ihrer Doktorväter. Dabei sind sie desinteressiert an einer grundlegenden Reform des Faches. Ein Haufen bösartiger Wespen, nach vorne freundlich lächelnd, hintenrum konspirativ. Verpflichtet fühlen sich einige nur noch dazu, rein wettbewerbsmäßig zu sagen: „Ich war der Erste“.
Die Mückenschißanalytiker: Ein Öperchen dort, ein Fragment da, eine vollkommen neue Auffassung des Tristan-Akkordes, die reinsten Totengräber der Musikgeschichte, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Die opportunistischen Studenten: Sie sind aktiv in vorauseilendem Gehorsam für den Erhalt des Faches. Sie veranstalten Kongresse, die bis ins Detail die Parteitage der Professoren nachahmen. Ein Vortrag über dies, eine Arbeitsgruppe über das.
Die Theorie-Avantgarde: Sie holtert und poltert zwischen Gender-Studies und Dekonstruktion, zwischen Komplexismus und Eiapopeia. Wenn am Sternenhimmel der Philosophie was Neues erscheint, wird es augenblicklich als Contra den Professoren in deren Seminarscheine geschmiert. Alte Beamten-Tranköppe dort, neue CK-One-Klone und Dernier-Cri-Rollkragenträger hier. Exponiert sich mal einer, wie Claus-Steffen Mahnkopf, dann sieht man, was daraus resultiert: Eine spektakuläre Naivität, eine Verona Ranicki-Meiser der Musikwissenschaft. Alles läuft geschmiert in diesem Theater voller Solorollen.
Da hat das gemeine Volk schon recht, wenn es auf den Satz: „Ich bin Musikwissenschaftler“ fragt: „Welches Instrument spielen Sie denn?“