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Fragment und Werk

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Manchmal muss man sich selbst misstrauen. Besonders wenn man mit allen einer Meinung ist. Zum Beispiel die Radio-Reform. Hat sich schon mal einer hingestellt und gesagt: Format- und Klassik-Radio find ich richtig gut. Als Pop-Fan liebe ich die ewige Rotation, hundert oder zweihundert Hits, die sich, computergesteuert, so lange durch alle Lebenslagen drehen, bis einem schlecht und schwindlig wird. Als Klassik-Konsument geh ich gern nach dem verkehrten Metzgerprinzip vor „Darf’s ein bisschen weniger sein“. Gibt es denn Schöneres als Sinfonien und Sonaten in dünne Scheiben geschnitten und mit Werbejingles gewürzt?!

So redet keiner, der bei Verstand und Reputation ist. Aber angeblich hören die meisten so. Die Quote ist unser Seelendurchleuchter und der öffentliche Diskurs ein Terrain der Heuchler. Verhält es sich so? Der FAZ-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier, der auch ein gewiefter Selbstinszenierer und ein Maestro greller Medien-Possen ist, hat einst mit seiner Generalattacke auf die Bayern 4-Klassik-Reform, die ihm angeblich die letzte Lust am Autofahren vergällte und das Abendland dem Abgrund einen entscheidenden Schritt näher brachte, mehr Leserbriefschreiber in Halbacht-Stellung gebracht als Bush mit seinem Irak-Krieg und Eichel mit seinem jüngsten Haushaltsloch zusammen.

Klar wurde in all dem kakophonischen Lärmen vor allem eins: der Radiohörer verteidigt das kulturelle Erbe bis zur letzten Note, das ganze Werk ist ihm noch heiliger als der ganze Mensch.

Merkwürdig bleibt bei der ganzen Aufregung nur eins: Die Produzenten der ganzen Werke haben selbst auf Teufel (sprich: Einfall) komm raus gefleddert; hier ein paar Seiten in Hast (manchmal auch: in Muße) durchstöbert, dort einen Mozartschen Gassenhauer (ein winziges Thema!) bis zur Ermüdung der Lippen gepfiffen oder einen erinnerungsträchtigen Jimi Hendrix-Song per Repeat-Taste in die abendfüllende Dauerrotation getrieben. Schon die Frühromantiker haben das Fragment theoretisch geadelt: Wenn die wahre Welt überhaupt sichtbar wird, dann in der gedrängten Abbreviatur, in Bruch und break. Später versuchten die Dadaisten in der Not des Ersten Weltkriegs und des grassierenden Ideenschwindels eine alternative Strategie der Selbstachtung und Weltrettung durch konsequente Sinnzerstörung. Und Benjamin und Brecht glaubten nicht an die sich ins große Ganze versenkende, jede Störung verabscheuende hermeneutische Verstehensfeier, sondern an die fachmännisch-zerstreute Diskussion bei noch laufendem Werk nach dem Vorbild von Boxkampf und Sechstage-Rennen.

Andacht war den Avantgardisten aller Zeitalter fremd. Sie sahen im ganzen Werk vor allem eins: die günstige Gelegenheit; die ewige Baustelle und den unerschöpflichen Steinbruch. Ist das Format-Radio nur die Praxis der Produzenten im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit? Und verteidigen am Ende die qualitätshörigen Verehrer des ganzen Werks, die Unantastbarkeit des guten Alten nur, weil ihnen nichts Neues einfällt?

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