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Freiheit der Kunst

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www.beckmesser.de (2009/10)
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Dass Kunst frei sei, gehört zu den gern gehörten Gemeinplätzen in unserer Gesellschaft. Weil jedoch die Definition von Freiheit so voller Widerhaken ist wie die von Kunst, kommt es periodisch zu Ereignissen, „Skandal“ genannt, bei denen die Problematik dieser Behauptung in schönster Anschaulichkeit zutage tritt. Einen solchen Fall inszenierte vor fünf Jahren ein Schweizer Künstler gemeinsam mit der Kulturstiftung Pro Helvetia (dem Schweizer Pendant zum Goethe-Institut), als er in Paris mit staatlicher Unterstützung eine Installation zeigte, in der ein Hund auf das Bild eines der damals mächtigsten Schweizer Politiker pisste.

Das war zwar primitiv, hatte aber den Vorteil der Eindeutigkeit. Es folgte eine erregte Debatte im Schweizer Parlament über staatliche Kulturförderung, und ihr Resultat war ebenfalls eindeutig: Pro Helvetia wurden die Bundesmittel um eine Million Franken gekürzt. Zum Schaden kam der Spott, und die ungeschickt agierende Kulturstiftung stand selbst wie ein Pudel da – nicht pinkelnd, sondern begossen.

Nun ist bei Schweizer Kulturschaffenden, vom Chaoten bis zum Akademiemitglied, der Hang zur Widerrede gegen Obrigkeiten aller Art offenbar tie-fer verwurzelt als bei ihren deutschen Kollegen. Ihre Aufmüpfigkeit ist nicht vom Wilhelminismus, sondern von Wilhelmtellismus geprägt, und da wurde bekanntlich scharf geschossen. In Deutschland ist die Frage einer gegenwärtigen, politisch engagierten Kunst außerdem noch immer von der unseligen DDR-Problematik überlagert. Wer sich seinerzeit von der Bonner Republik überfahren fühlte, konnte sich bei seinem Widerstand nicht guten Gewissens auf die kulturelle Tradition einer Diktatur berufen – eine seltsame Heimatlosigkeit der künstlerisch-politischen Opposition, verbunden mit einem Opfer-Nimbus, ist die Folge. Direkte (Wider-)Rede wird politisch korrekt abgefedert oder von der Linkspartei, die selbst wieder Staat sein möchte, aufgesogen. Knalleffekte der geschilderten Art liegen Jahrzehnte zurück.

Heute ist in der Kunst alles erlaubt, bis hin zu Dilettantismus und Pornografie. Doch ist sie deswegen freier? Dass mit der uferlosen Freiheit der Postmoderne auch die Freiheit der Kunst in eine Domäne schillernder Mehrdeutigkeit abgleitet, wird in der neuen Nummer der von Pro Helvetia herausgegebenen Kulturzeitschrift „Passagen“ thematisiert (www.prohelvetia.ch/passagen). Nach dem Hunde-Flop von 2004 scheint man sich hier für die Zukunft theoretisch etwas besser zu wappnen. Dies vor dem Hintergrund eines neues Kulturförderungsgesetzes, das voraussichtlich 2012 in Kraft treten wird und zu Pro Helvetia unter anderem den bemerkenswerten Satz enthält: „Die Stiftung erfüllt ihre Aufgaben autonom.“ Er verrät, dass sich auch die Schweizer Parlamentarier auf die neue Zeit eingestellt haben. Spontan verhängte Strafen gegen die unkontrollierbare Kultur sollen gesetzlich verunmöglicht werden. Dem Staat sind unbotmäßige Kunst-Untertanen jetzt egal.

Die staatlich geförderte Narrenfreiheit der Kunst entspricht indes der politischen Opportunität. Das meint auch Pro Helvetia-Direktor Pius Knüsel in einem Grundsatzartikel in „Passagen“. Beglaubigt wird es einige Seiten weiter hinten in einem Gespräch mit drei Jungparlamentariern, die sich von links bis rechts unisono für die Nichteinmischung des Staats stark machen. Freiheit der Kunst als Markenzeichen einer freien Gesellschaft.
Von hier zum Exportprodukt und Schmiermittel der Politik ist es dann nicht mehr weit. Knüsel sieht diese Tendenz nicht nur zu Hause, sondern in ganz Europa um sich greifen: „Frankreichs neue Kulturpolitik rückt das nationale Prinzip, die ‚exception culturelle’, wieder in den Vordergrund (...). Großbritanniens Regierung rüstet den British Council zur Waffe im Kampf gegen den Islamismus. Und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nutzt den Kulturaustausch als Plattform der Selbstdarstellung; das Goethe-Institut, der DAAD und andere erscheinen wie selbstverständlich eingereiht in die Instrumente deutscher Außenpolitik (...) Die USA schicken ihre Young Lions, junge Jazztalente, wieder auf musikalische Mission. China rechnet in Kultureinheiten pro Kopf.“ Die Kunst, so Knüsel, wird damit zum Wehrdienst, und „die Schlachtfelder heißen Landeswerbung, Nachweis des Fortschritts, Beziehungspflege, Standortmarketing, wirtschaftliche Innovationsförderung“.

Eine mögliche Gegenstrategie sieht er in der vermehrten Unterstützung von außergewöhnlichen Talenten, also in dem, was in der Wissenschaftspolitik Exzellenz-Förderung heißt. Vielleicht ist die Ausrichtung auf herausragende individuelle Leistungen – etwas, das Jahrzehnte lang dem Totschlagargument „elitär“ zum Opfer fiel – ein Weg, der Instrumentalisierung der Kultur durch Politik und Wirtschaft zu entkommen. Vielleicht liefert man ihr damit aber auch nur neues, besonders wertvolles Futter. Eines ist jedenfalls klar: Kulturpolitische Maßnahmen können die Freiheit der Kunst jederzeit einengen und bestenfalls passiv erlauben. Sie können sie aber nie aktiv hervorbringen. Das bleibt Sache des individuellen Autors und seiner Fähigkeit, mit der Idee der Freiheit, jenseits billiger Provokation, die Wirklichkeit zu verändern.

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