„Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ So steht es geschrieben. Man muss den Stein der Weisen nicht gefunden haben, um Anspruch auf „Erlösung“ anmelden zu dürfen. Dies mache ich auch für mich selbst geltend. Ich erhebe nicht den Anspruch, „es“ zu wissen, um dann sagen zu können, wie es richtig oder falsch ist. Meine Absicht war, eine Hypothese, welche hoffentlich mit schlüssigen Argumenten gestützt wird, zur Diskussion zu stellen.
Nun muss ich allerdings leider befürchten, dass H. Mengler, dessen Bemühen um die Sache ich sehr wohl hoch anerkenne – es gibt nebenbei bemerkt meines Erachtens noch zu viele Institutionen, für die unser Thema grundsätzlich nicht zu existieren scheint –, mein Ansinnen nicht verstanden hat und nicht eigentlich darauf eingegangen ist.
Ich zitiere: „Es sind einfach zu viele Linkshänder, die ihre schwächere Bogenseite täglich nach allen Regeln der Kunst trainieren und am Abend feststellen, dass ihnen eine ,Barriere‘ den Weg zum letzten Wohlgefühl versperrt.“ (nmz 2-09, S. 12)
Genau gegen dieses Vorgehen habe ich angeschrieben! Für Linkshänder kann diese Konzentration – bildlich verstanden im Sinne sich immer mehr verengender Kreise – auf die rechte Hand nicht zum Ziel führen. Ich dagegen wollte den Fokus auf die linke Hand richten, die für die Linkshänder die Führungshand wird oder werden kann. Wenn Herr Mengler dies nicht an-nehmen will oder kann, wird sich die Argumentation auf ewig im Zirkelschluss bewegen: Der Bogen muss von der dominanten Hand geführt werden, Linkshänder können mit rechts nicht dominant agieren, also müssen sie links streichen.
Nein, müssen sie nicht, sie könnten mit links führen, so mein Vorschlag. Warum darauf Herr Mengler nicht genauer eingeht, verstehe ich nicht. Folglich bewegen sich die vier Punkte seiner Kritik mehr oder weniger in diesem Zirkelschluss. Er benützt als Ausgangspunkt seiner Argumentation das eigentlich erst zu diskutierende Faktum.
Das entscheidende Kriterium für die Zuordnung einer Aufgabe zur richtigen Seite sieht H. Mengler nicht in der Schwierigkeit der Aufgabe, sondern in deren Charakter. Dieser ordnet der Vorbereitung nichtdominante Eigenschaften und der Ausführung und dem Abschluss einer Aktion dominante Eigenschaften zu. Die Argumentation setzt also voraus, dass der Bogen dominant geführt werden muss. Ob diese Argumentation beziehungsweise die Zuordnung von dominant oder nichtdominant auf neurophysiologischer Ebene Bestand haben kann, wage ich zu bezweifeln. Die Zuordnung scheint fast etwas willkürlich zu sein, zumindest erscheint sie als traditionelle Festsetzung, deren Beständigkeit ja hier eigentlich genau geprüft werden soll.
Möglicherweise waren die neurophysiologischen Untersuchungen in meinem Aufsatz zu wenig ausführlich und präzise dargestellt. Denn es wurden nicht mehrere Probanden miteinander verglichen oder einer Kontrollgruppe gegenübergestellt. Man ging der Frage nach, wie sich bei einem Individuum die linke Seite im Vergleich zur rechten Seite im Gehirn abbildet. Hier fand man die beschriebenen Unterschiede. Damit dürfte geklärt sein, dass die Aussage „Mit der Dominanz einer Seite hat das nichts zu tun“ sich wohl auf andere Voraussetzungen bezog.
Dass man die Händigkeit beziehungsweise die Lateralisierung des Gehirns als archaisches Muster deklarieren kann, halte ich nicht für zutreffend. Evolutiv betrachtet ist der Gebrauch der Hände, später der differenzierte Gebrauch der Finger und der Gebrauch derselben zum Schreiben oder Spielen eines Instrumentes allerneuesten Datums also die jüngste und letzte Errungenschaft der Evolution. Insofern kann also von archaischen (vorzeitlichen/altertümlichen) Mustern nicht die Rede sein. Meiner Auffassung nach ist es immer etwas problematisch, von „richtig und falsch“ zu sprechen. Es sind Kategorien, die von Erziehenden (im allerweitesten Sinne) an ihre Zöglinge weitergegeben werden. Doch wie weit kommt man mit diesen Kategorien, kommt man ans Ziel? Speziell in unserem Fall würde ich die Frage nach der Zweckmäßigkeit bemühen. Wie erreiche ich als Instrumentalist mein Ziel?
Der Einwand, ob denn die Schüler alle nur falsch unterrichtet worden wären, ist mir an dieser Stelle doch zu hemdsärmlig und unsensibel. Denn genau darum geht es doch bei dem ganzen Aufwand, den wir hier betreiben.
Wie viele Schüler oder überhaupt linkshändige Instrumentalisten gibt es denn, die mit links bewusst führen (und greifen)? Ich möchte erst diese Option theoretisch wie praktisch erörtert oder hinterfragt haben, bevor man weitere Urteile fällt oder immer wieder stur behauptet, die Bogenhand muss die Führungshand sein, weil es so sein muss.
„Die linke Hand zur Führung zu benutzen halte ich für gefährlich; die dort eingesetzte Energie gelangt nur unter größten Mühen wieder zurück an die Stelle, wo sie gebraucht wird – im Bogenstrich.“ Warum?
Fazit: Die eigentlich relevanten Fragen wurden nicht wirklich erörtert.
Stattdessen werden sie von vornherein so beantwortet, wie sie von Rechtshändern schon immer beantwortet wurden. Man muss eben mit dem Bogen führen, andersherum ginge es nur – warum auch immer – unter großen Mühen.
Wird denn diese Argumentation insofern nicht unbewusst auch zu einem Plädoyer für die „rechtsgerichtete“ Gesellschaft, als sie verlangt, genau so vorzugehen, wie es die rechtshändige Streicherpädagogik vorsieht, nur alles „um 180 Grad gedreht“?
Dürfen wir Linkshänder denn nicht etwas einmal grundsätzlich, wesentlich anders machen?
Stefan Schäufl