Es geschah auf einem Panel einer wurstigen PopKom., die in ihren letzten Zügen liegend, das Elend von Musikbranche und -szene klar kenntlich machte. Thema war eine Auseinandersetzung über Raubkopien und digitale Raubritter, über Download und Untergang des Abendlandes. Wieder die üblichen Verdächtigen auf der Bühne, wieder die naiv Tuenden im Publikum, wieder hier die böse, teuere CD-Industrie, wieder dort der ehrbare Musikfreund, dem ein Klau kein Klau, sondern kulturelle Revolte im höheren Sinn ist. Da hatte ich plötzlich eine unterhaltsame Erscheinung. Mir erschienen auf der Bühne Wurstfabrikanten, Salami-Verpackungsdesigner, Schlachter und Metzger sowie der Präsident des Deutschen Wurstverbandes – und wir schrieben das Jahr 2010. Am Rande der Runde ein dicker Konsument, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Rettet die Wurst, nieder mit dem Euro!“ trug. Aus dem Publikum heraus schallte es Rufe wie „Ihr Absahner! Wurst ist Kultur und die gehört allen!“. Man war aufgebracht und unordentlich-emotional.
Der Wurstfabrikant betonte, wenn es mit dem Wurstklau so weiterginge, der Konsument sich weiterhin Wurst aus dem inzwischen kybernetisch-physisch-vernetzten Internet downloaden und aus der Cyber-Sausage-Kompaktanlage pressen lassen würde, dann wäre alsbald Schluss mit Arbeitsplätzen. Der dicke T-Shirt-Träger schimpfte. Der Verbraucher habe einst schon die Musikindustrie besiegt. Nun gäbe es inzwischen zwar keine neue Musik mehr, aber die Verfügung über alle bisherigen Klänge zum Nulltarif sei immer noch spaßig und sozial wertvoll. Mit der Wurst lasse man sich nicht erpressen. Aber die Gegner riefen aufgebracht: „Nur bei uns hören sie noch den Esel schreien, die Internet-Wurst besteht doch nur aus Geschmacksstoffen und Geruchsverstärkern“, meinte ein Schlachter, der offensichtlich am liebsten dem T-Shirt-Träger sein blankes Messer gezeigt hätte. Ich wachte auf. Der Magen knurrte. Schweiß auf der Stirn. Auf der Bühne ging es immer noch um die Wurst. „Und ich sage ihnen, wenn der Verbraucher kein Unrechtsbewusstsein entwickelt und das Downloaden so weitergeht, dann gibt es bald keine Künstler mehr, wovon sollen die denn noch leben?“ Die alten Verdächtigen diskutierten munter weiter mit dem Rücken zur Wand. Im Publikum keine Einsicht, Diebstahl in der Pose des Robin Hood.
Neben mir packte ein Independent-Label-Besitzer einen mitgebrachten Wurst-Croque aus. Es knackte beim herzhaften Zubiss. Wenn das Brot mit CDs belegbar wäre, würde man dann heute anders diskutieren?! Mir erschien plötzlich alles ganz irreal und unfertig. Es drängte mich zum Ausgang. Draußen dann die Bilder einer sterbenden Messe. Kann sich die Pop-Branche mit einer Salamitaktik retten, noch bevor auch die Wurst enteignet wird?