Herzlichen Glückwunsch, liebe Amateurmusiker! Und vor allem Helikopter- Eltern! Da hat euch der BGH ja kurz vor Weihnachten einen frechen Freibrief an die noch ungestimmten Tröten geklammert. Musizieren ist also ein Grundrecht. Glaubt der BGH. Egal wer und egal wann. Jedem Brezensalzer steht es somit frei, ein Instrument zu lernen und zu üben. Unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht und leider auch Talent. Um es grundrechtlich zu subsumieren. Was aber bedeutet das Urteil? Dass sämtliche Amateurfußballer 51 Wochen grölend durchs Dorf ziehen dürfen, um ihr Repertoire für den jährlichen Ballermann-Ausflug zu festigen („Geh doch zu Hause, du alte Scheiße, geh doch zu Hause komm nicht mehr“)?
Dass sämtliche Hausmeisterinnen beim Putzen im Treppenhaus weiterhin den BDM-Gassenhauer „Die Fahnen hoch“ summen dürfen? Klar. Inhaltlich hat der BGH wieder nichts geklärt. Vielen Dank. Wenngleich konjunkturelle Überlegungen hinter der Urteilsfindung stecken müssen. Sicher haben sich die letzten vier Musikgeschäfteinhaber der Republik kriechend und miauend vor die Treppen des BGH geworfen und ihre Plakate gen Himmel gestreckt („Internet?!?“, „Musik ist keine Lärmbelästigung!“) und die Herrschaften mit den Papphüten sind willig eingeknickt.
Was wird nämlich passieren? Die Musikläden werden mit „Interessenten“ überflutet. Weil ab sofort ist alles erlaubt. Und das ist eine epochale Einschränkung der Menschwürde. Denn nun darf Tristan-Alexander nach seiner Wahl zum Class-Consultant (früher: Klassensprecher) und seinem erfolgreichen Mandarin-Einsteigerkurs auch noch ungestraft in die Klaviertasten dreschen und ein Dutzend Klavierlehrerinnen gängeln. Wann er will. Solange er will.
Nebenbei gehen sämtlichen Ergotherapeuten jede Menge Kunden flöten (Wortwitz übrigens). Denn die Heli-Eltern diagnostizieren ja gerne selber („Eigentlich wollte ich Medizin studieren“). Und schon hat Tristan-Erik ein Schlagzeug statt Ergo und versaut seinen Nachbarn gediegene Abende mit Bach und Bacchus. Dass er nach wie vor weder auf einem noch auf zwei Beinen stehen kann und latent zur Aggression neigt („Ich möchte meine Vorspeise pünktlich um 17:30 Uhr serviert bekommen!“); wen juckt es? Ebenso unwichtig erscheint das Schicksal von Celine-Mareikes Nachbarn. Erst hat ihnen der kleine Pummel seit der Kita mit gewagten Ballett-Manövern den mühevoll restaurierten Stuck von der Schwabinger Altbauwohnung getrampelt. Nun haben ihre Eltern, Ann-Kathrin und Castor (Namen, die wie Musik in meinen Ohren klingen), beschlossen: Die kleine Brumme darf sich obendrein noch ein Cello zwischen die Sumo-Waden klemmen. Und ja, Sie hören richtig, liebe Nachbarn. Es ist das Instrument, das weint. Es sind keineswegs melancholische mäandernde Suiten, die Celine-Mareike dem Cello entlockt. Ich möchte ehrlich sein. Gut, dass ich wie Herr Merz in der gehobenen Mittelschicht verkehre. Ich kaufe mir einfach eine neue Eigentumswohnung.