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Upps! Keine Reihe 9 im kleinen Stadttheater Aschaffenburg! Aber ein Platz 9 …Foto: mku

Upps! Keine Reihe 9 im kleinen Stadttheater Aschaffenburg! Aber ein Platz 9 … Foto: mku

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Reihe 9 (#11) – Opern-Schmaus und Opern-Graus

Vorspann / Teaser

Nein, keine Sorge: Ich gehöre nicht zu den Puristen, was gewagte Inszenierungen auf der Opernbühne angeht. Gerne lasse ich mich von neuen Sichtweisen überraschen und anderen Deutungen überzeugen. Und wenn ich meine Erinnerung befrage, so sind es doch viele dieser teils frechen, teils nachdenklichen Perspektiven, die noch über Jahre hinweg nachklingen: mit dabei ist etwa eine knallig-kunterbunte Zauberflöte (natürlich mit grüner „Götterspeise“), eine Goldschmidt-Ausgrabung, die in der letzten, kecken Szene durch Mark und Bein ging, ein mit wenigen Requisiten erzählter Ring, eine wundervoll spielerische Steffani-Revitalisierung oder – erst kürzlich – eine zwischen himmlischen Engeln und irdischer Hölle wandelnde Jeanne d’Arc …

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In all diesen Fällen hat sich die Regie freudig über die Partitur und natürlich auch über das Libretto hergemacht, sie beide kritisch befragt und mit mehr oder weniger deutenden Eingriffen eigene Antworten gefunden. So kommt dann auch einmal ein bunter Tingeltangel auf die Bretter, die die Welt bedeuten, oder es wird schaurig dunkel wie im hintersten Kerkerloch. Vor allem wenn die Oper oder Operette zum Repertoire zählt, halte ich gerne die Augen offen, ist es doch an solchen Abenden in der Regel eine „Handlung mit bekanntem Ausgang“. Und ja, da darf sich auch schon mal die Inszenierung in den Vordergrund drängen, solange sie das komponierte Werk nicht ad absurdum führt – sich mit erhöhtem Selbstbezug mehr an ihm abarbeitet, als es für eine Chance, eine Herausforderung zu halten. Die Zeiten eines solchen „Regietheaters“ (ein durch und durch abwertend besetzter Begriff) sind heute angesichts vieler neuer Optionen vorbei: dank einer modernen Technik (mechanisch wie digital), dank eines Publikums, das sich in der Regel gerne mitnehmen lässt.

Was aber, wenn eine Oper nach ziemlich genau 235 Jahren erstmals wieder auf die Bühne kommt – und dies auch noch zum 200. Todestag des weithin unbekannten Komponisten? Niemand wird erwarten, dass man zu solch einer Gelegenheit die Protagonisten in ein angegrautes, angestaubtes historisches Kostüm zwängt. Was aber jüngst der nur in zwei Abschriften überlieferten Partitur von Il Farnace (Neapel 1782) von Johann Franz Xaver Sterkel am Stadttheater in Aschaffenburg in Kooperation mit der Theaterakademie August Everding widerfuhr, sorgte bei mir schon während der Aufführung für anhaltende Ratlosigkeit. 

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Il Farnace: Elena Harsányi (Pompeo), Florence Losseau (Aquilio), Pauline Rinvet (Tamiri), Jonas Würmeling (Atridate), Kathrin Zukowski (Selinda) © Andreas Etter

Il Farnace: Elena Harsányi (Pompeo), Florence Losseau (Aquilio), Pauline Rinvet (Tamiri), Jonas Würmeling (Atridate), Kathrin Zukowski (Selinda) © Andreas Etter

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Es waren nicht allein die erstarrten Figuren, die (eine fraglos gelungene psychologische Deutung des vielfach vertonten Librettos) mit sich selbst beschäftigt waren und nebeneinander agierten. Es war vielmehr der durchgehende Verzicht, die Oper als eigenständiges Werk ernst zu nehmen und auf den Prüfstein zu stellen. Denn nicht nur, dass alle Rezitative zugunsten bloß gemurmelter Schlagwörter entfielen – ja, es hätte wirklich ein zu langer Abend werden können –, mehr aber noch wurden einzelne Arien verkürzt und das ohnehin dramaturgisch problematische lieto fine durch eine verstörende klangliche Überblendung gänzlich infrage gestellt. Warum dann aber ein historisch informiert aufspielendes Ensemble? Und warum muss eine Inszenierung in der Einführung durch die Dramaturgin überhaupt erklärt werden? So bleibt Sterkels Il Farnace eine Oper, die ich gerne kennengelernt hätte.

Über Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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