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Orange-Grau-Schwarz gemusterte Konzertbestuhlung.

Zu wenig Reihen. Ein Platz 9 im Berliner Pierre-Boulez-Saal.

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Reihe 9 (#59) – Hustenfrei

Vorspann / Teaser

Erinnern Sie sich? Es gab früher Konzertabende, die regelrecht zerhustet wurden. Selten wegen des Programms, in der Regel aber wegen der vorherrschenden Witterungsverhältnisse. Statt den fest sitzenden Bronchialkatarrh daheim durch Bettruhe und Blütentee ordentlich auszukurieren, wurde das Auditorium durch die lautstarken Symptome über den jeweiligen Krankenstand in Kenntnis gesetzt. Zu kostspielig das Abonnement, zu wertvoll die einmal ergatterte Karte, zu gross vielleicht auch die Vorfreude, um am Ende vernünftigerweise auf den Besuch zu verzichten.

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Nach anderthalb Jahren Pause hat sich jetzt das akustische Bild revolutioniert. Schon das kleinste Räuspern fällt auf und sorgt bei vielen für besorgte Blicke. Die zu beobachtenden Folgen: Zum einen wird nun aus Rücksicht viel früher der Saal zum Abhusten verlassen, zum anderen ist ein ungeahnt intensives Hören und Erleben von Musik möglich geworden. Dies ging mir erst kürzlich im Berliner Pierre-Boulez-Saal durch den Kopf. Erst im Frühjahr 2017 eröffnet, ist er nach nur vier Jahren mit einem inspirierenden Programm aus hochkarätiger Kammermusik, Alter und Neuer Musik, Jazz und grenzüberschreitenden Projekten aus dem Nahen Osten zu einer Massstäbe setzenden Instanz geworden. Auch architektonisch handelt es sich bei dem von Frank Gehry entworfenen Saal um einen Glücksfall – ein Oval, das kein Vorne und Hinten kennt. Denn in den Pausen wird in der Regel die Bestuhlung der Musiker um 180 Grad gedreht. Zudem erscheint der Raum trotz seiner Kapazität von bis zu 683 Plätzen geradezu intim; nur das Foyer mit Buffet und Garderoben wurde (wieder einmal) zu klein und eng geplant.

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Der kleine und fast ausverkaufte Pierre-Boulez-Saal mit einem Aufbau für Streichquartett in der Mitte.

Musik im Zentrum. Streichquartett im Pierre-Boulez-Saal Berlin.

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Aktuell können die Plätze zu 100 Prozent belegt werden, was ein Konzert wieder wirklich zu einem Erlebnis macht. Und sicher ist so ein Besuch zudem: Man nimmt die Überprüfung des 3G-Status beim Betreten des Gebäudes erfreulicherweise wirklich ernst, und zwar so ernst, wie ich es bisher in Berlin nicht erlebt habe. Hoch waren die Erwartungen an den Auftakt des fünfteiligen Schostakowitsch-Zyklus mit dem Hagen Quartett – eine Formation, die im Rahmen der Konventionen auch gern einmal zu einer eigenwilligen Gestaltung neigt. Umso aufmerksamer war das kundige Auditorium. Insbesondere vor der kleinen Umbaupause war es mucksmäuschen still, so dass der Spannungsbogen durch nichts unterbrochen wurde; der Applaus war umso kräftiger und begeisterter.

Möge uns allen dieses „Hustenfrei“ auch in den kommenden Monaten und noch länger erhalten bleiben. Nicht nur die Interpreten werden sich darüber freuen …

Ihr

Michael Kube

REIHE 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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