Eigentlich muss man derzeit gar nicht flächendeckend zu solch einschneidenden Mitteln greifen und ganze Reihen im Theater, Opernhaus oder Konzertsaal sperren. Denn eines hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten doch an vielen Orten gezeigt: Trotz des verminderten Platzangebots sind nur selten einmal Vorstellungen oder Konzerte wirklich ausverkauft. Wenn dann aber einmal „die Hütte“ annähernd voll ist, kann es trotzdem zu drastischen Vorfällen kommen, wie vor ein paar Tagen im Leipziger Gewandhaus: Falsch-positive PCR-Tests (so hat es sich jedenfalls später herausgestellt) haben in sprichwörtlich letzter Minute zur Absage des „Großen Concerts“ geführt.

Ohne Kommentar. Reihe 9 in der Semperoper Dresden. Foto: mku
Reihe 9 (#62) – Absurdes Theater
Tatsächlich geht es seit Monaten im Backstage-Bereich äußerst streng zu. Keine Probe und kein Konzert ohne solch gründliche Testungen. Mit einigem Glück ist es wenigstens wieder möglich, internationale Gäste auf der Bühne begrüßen zu dürfen. Hingegen fehlen im Parkett oder auf den Rängen schmerzlich Gäste und Touristen. Und es stellen sich Fragen, die noch vor etwas mehr als zwei Jahren unmöglich erschienen: Wie viel Spielbetrieb muss sein? Wenn ein subventioniertes Theater (und ohne diese Unterstützung aus der Idee des demokratisch legitimierten Bildungsauftrags geht es nun mal nicht) lieber nicht spielt, die Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt und sich so in der Krise saniert, dann stimmt etwas nicht. Andererseits: Wie viel Angst hält das Publikum wirklich von einem Besuch auf den angestammten Plätzen ab? Mancher Einkauf im Supermarkt fühlt sich doch gefährlicher an als eine durchgetestete Opernaufführung!

Nochmals ohne Kommentar. Parkierverbot in der Semper Zwei. Foto: mku
Und so kam und kommt es hie und da weiterhin zu kuriosen Situationen: Nur knapp über 20 Menschen erlebten in strenger Vereinzelung am 16. Januar in der Semper Zwei die Premiere der Kammeroper von Luciano Chailly, eine Vertonung der Kahlen Sängerin von Eugène Ionesco – als Schauspiel ein Hauptwerk des absurden Theaters, an diesem Abend aber in der Absurdität gedoppelt. Knapp zwei Wochen später präsentierte sich Matthias Pintscher in der Semperoper (auf der Bühne im Konzertzimmer) mit der Sächsischen Staatskapelle in einem Sonderkonzert als Capell-Compositeur. Abseits der Musik ein leider trauriger Abend ohne Stimmung, denn im Parkett waren nur circa 60 Personen anwesend. Für diese Woche wurde gar eine Vorstellung von „Die andere Frau“ (Musiktheater von Torsten Rasch) zugunsten einer Video-Aufzeichnung des Werkes abgesagt, Kartenbesitzer ausgeladen. Dass die Zauberflöte und das Dresdner Gedenkkonzert am 13. Februar (mit Bruckner 9) ausverkauft sind, läßt hoffen, verheißt aber für die zukünftige Gestaltung eines Spielplans nichts Gutes – es sei denn, man bleibe guten Mutes.
Ihr
Michael Kube
REIHE 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
- Share by mail
Share on