Wohl die wenigsten Abonnentinnen und Abonnenten haben sich jemals gefragt, wann und wo und wie oft für ein Konzert geprobt wurde. Aber auch Musiker und Staff eines Klangkörpers sprechen nur selten einmal über die vorangegangene Arbeitsphase mit der „Außenwelt“. Einen Sonderfall stellt wohl nur die Generalprobe dar, die „GP“, bei der Assistenten und Künstleragenten, einzelne Personen mit berechtigtem Interesse oder auch Studierende zugelassen werden.
Reihe 9 (#65) – GP
Man sitzt dann vollkommen frei verteilt und ungezwungen im Parkett; in den leeren Reihen haben auch Instrumentenkoffer, Jacken und Taschen Platz gefunden. Doch wirklich „interessant“ ist es selten. In der Regel werden die Werke in der Reihenfolge des Konzerts einmal vollständig durchgespielt, nur im Nachhinein hier und dort nochmals korrigiert oder eine Ansage zur Eintragung in den Noten gemacht.
Es ist daher kein Zufall, dass einige Häuser und Klangkörper inzwischen auch „normales“ Publikum zu solchen GP zulassen – entweder mit Freikarte oder für einen geringen Obolus. Dann sind auch Reihe und Platz nummeriert, und man findet sich in der Regel in einem Block sitzend mit Abstand zum Podium. Alles ist dabei auf sympathische Weise informeller als im ritualisierten Konzert. Der Applaus fällt kürzer und beifälliger aus, die Atmosphäre wirkt geradezu befreiend entspannt, weil das Auditorium noch den Tag und allerlei Besorgungen vor sich hat und das Orchester ein wenig Kräfte für den Abend spart. Seltsam wird es, wenn im Orchester die Herren im Frack, die Damen in Schwarz und die Solistin im Kleid erscheinen, wie kürzlich bei einer öffentlichen Generalprobe der Staatskapelle Weimar unter Clemens Schuldt mit Ragnhild Hemsing. Zu erleben waren ein im Orchester zupackend begleitetes Violinkonzert von Max Bruch (das in g-Moll, natürlich) wie auch der Versuch der Tontechnik, die richtige Einstellung zur Verstärkung der Hardangerfidel in Geirr Tveitts zweitem Konzert zu finden – wo er doch die Instrumentation schon äußerst rücksichtsvoll angelegt hat. Dass nach einer Pause (ohne Bewirtungsbetrieb und daher mit eigener Thermoskanne), Schuberts großer Sinfonie C-Dur und einem anerkennenden Beifall das Auditorium an den nachgeprobten Stellen kein Interesse mehr fand und geräuscharm den Saal verließ, mag verständlich sein. Es zeigt aber auch die Zwiespältigkeit eines interessanten Liveformats, zu dem sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Ihr
Michael Kube
REIHE 9
Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.
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