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Reihe 9 im Rittersaal Schloss Hellenstein in Heidenheim. Foto: mku

Reihe 9 im Rittersaal Schloss Hellenstein in Heidenheim. Foto: mku

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Reihe 9 (#80) – 17°

Vorspann / Teaser

Auch im Musikbetrieb machen sich die Folgen des Klimawandels bemerkbar, freilich kaum einmal durch plakative Protestaktionen – diese müssten ohnehin eher die kleine Gruppe der weltreisenden Stars treffen als das mit dem (oft inkludierten) ÖPNV anreisende Publikum. Vielmehr haben Veranstalter von Open Air Events vermehrt mit der Witterung zu kämpfen, und das nicht nur in Wacken.

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Aber man muss auch ehrlich sein: Abbrüche wegen einsetzenden Dauerregens gab es schon früher. Ich kann mich sehr dunkel (es ist Jahrzehnte her) an eine Freischütz-Aufführung im Rahmen der Eutiner Festspiele erinnern, bei der alle zunächst tapfer bis zur Pause durchhielten – und dann eben doch der unvermeidliche Abbruch kam. Ein Regenradar gab es damals noch nicht, und das Netz der meteorologischen Stationen war viel weitmaschiger als heute. So ärgerlich ein solches Ende für das Publikum auch sein mag, so wird doch viel zu selten der Fokus auf die ausführenden Sänger:innen, den Chor oder das Orchester gerichtet. Wer setzt schon seine gut präparierten Stimmbänder oder auch die sensiblen Saiten wirklich jedem Wetter aus? Gerade die beliebten Seebühnen können am späten Abend kräftig Feuchtigkeit ziehen. Und dann ist da ja noch der Anspruch, auch wirklich große (sängerische) Kunst zu zeigen, zu imaginieren, das Publikum zu begeistern.

Was ist, wenn das Wetter wirklich nicht mitspielt? Einen Einblick in die organisatorischen Rahmenbedingungen und einen „Plan B“ gewährten just an einem späten Juli-Wochenende die inzwischen auf eine lange Geschichte zurückblickenden Opernfestspiele Heidenheim. Wieder standen zwei Produktionen auf dem Programm, davon eine traditionell im Rittersaal der Ruine des über der Stadt thronenden Schlosses Hellenstein (Don Carlo), eine weitere im Saal des Congress Centrum Heidenheim, das im Sommer zum „Festspielhaus“ avanciert (Giovanna d’Arco, ebenfalls von Verdi).

Von vornherein wird im kühlen „Schwäbisch Sibirien“ mit Wetterumschwüngen gerechnet, so dass bei einem notwendig werdenden Umzug ins Trockene oder Warme ein verkleinertes Duplikat des Outdoor-Bühnenbildes in nur wenigen Stunden aufgebaut werden kann. Entschieden wird zur Mittagszeit, so dass sich alle entsprechend einrichten können. Beide Spielorte sind zudem nur zwei bis drei Gehminuten voneinander entfernt; auf den Tickets ist immer gleich auch der Alternativ-Sitzplatz mit angegeben. Anders als am Bodensee kommt so wirklich jeder zu seinem Opernabend – niemand muss wegen seiner Karten-Kategorie draußen vor der Tür bleiben.

Neu war für mich allerdings, dass nicht nur nach dem Wolkenstand, sondern auch nach dem Thermometer entschieden wird. Wo so manches Bläserensemble noch nahe am Gefrierpunkt unerschrocken musiziert, ist für die Streicher schon lange das Machbare unterschritten – der Instrumente und der Intonation wegen. In Heidenheim liegt diese Grenze bei absehbaren 17 Grad Celsius im finalen Schlussakkord (siehe Bild unten). Und tatsächlich waren es am Ende des langen Don Carlos 14 Grad.

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Ab ins Warme – aber auch das Publikum will sich nicht verkühlen. Foto: mku

Ab ins Warme – aber auch das Publikum will sich nicht verkühlen. Foto: mku

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Also alles richtig entschieden – und die Aufführung konnte mit einem tollen Ensemble und den gastierenden Stuttgarter Philharmonikern sorgenfrei im Saal vonstattengehen. Interessanter war allerdings die nur selten zu sehende Giovanna d’Arco mit der wundervoll schlank und präzise musizierenden Cappella Aquileia unter der Leitung von Markus Bosch (besucht wurde die zweite und zugleich letzte Aufführung).

PS: Heute Abend (am Neunten) geht es für mich nach Bregenz zu Puccinis Madame Butterfly. Es ist gutes Wetter vorhergesagt… Mal sehen.

REIHE 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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