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Corpus Delicti im Foyer. Foto: mku

Corpus Delicti im Foyer. Foto: mku

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Reihe 9 (#83) – Denkmalsch(m)utz

Vorspann / Teaser

Über den Denkmalschutz kam man sich gelegentlich wundern. Oft ist er hilfreich beim Bewahren historischer oder auch bedeutsamer neuzeitlicher Bausubstanz. Gelegentlich stellt er sich aber auch als hinderlich dar, etwa wenn es um die Renovierung städtebaulicher Sünden geht. Auch im Konzertsaal hatte ich neulich mit dem Denkmalschutz zu tun. Nicht auf dem Programm (wo dieser einem ja oft genug in musikalischer Form begegnet), sondern überraschenderweise im Foyer.

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Manchmal kommt es beim Denkmalschutz auch zum Skandal – so vor einigen Jahren bei den Plänen zur Renovierung und Umgestaltung der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale. Gerichtlich wurde das Eigentumsrecht des Erzbistums höher gestellt als das Urheberrecht jener Künstler, die ab 1960 beim Wiederaufbau für Architektur und Innenraum sorgten, denn beim Umbau werde die bisherige künstlerische Gestaltung des Innenraums nicht nur verändert, sondern beseitigt, so dass die Künstler keine Urheberrechte mehr geltend machen könnten.“ (Domradio)  Eine für mich etwas seltsam anmutende Begründung, die aber beim genaueren Hinsehen Chancen eröffnen kann, wenn es um pragmatisch bestimmte „Arbeiten am Bau“ geht. Etwa um reichlich abgenutzte Auslegware wie die im oberen Foyer und den Zugängen zum Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie.

Der in der heutigen „Reihe 9“ aufgegriffene Konflikt entzündete sich an einer Brezel und einem Glas Sekt. Obgleich beides erprobt und absturzsicher in der Hand gehalten wurde, verwehrte das Personal dennoch nicht nur mir, sondern auch mindestens drei weiteren Personen den Zugang zum oberen Foyer und damit zur Konzerteinführung – und zwar aus (wie es auf insistierende Nachfrage nach dem „Warum“ hieß) „Gründen des Denkmalschutzes“. Tatsächlich steht der weltweit bekannte, von Hans Scharoun entworfene Bau unter dem Schutz der Landesdenkmalamts Berlin; damit ebenso und offenbar mit Blick auf das Gesamtensemble der erst 1987 eröffnete Kammermusiksaal. Logisch nachvollziehbar ist diese Begründung freilich kaum, denn im unteren Foyer befindet sich das Buffet, und der Verzehr ist gestattet. Von einer wirklichen Gefahrenlage ist nicht auszugehen. Sucht man mittels Beobachtung nach den Unterschieden zwischen „unten“ und „oben“, so landet man schließlich auf, oder besser: beim Teppichboden. Er allein macht den Unterschied gegenüber dem gefliesten unteren Bereich.

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Raumklänge im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Foto: mku

Raumklänge im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Foto: mku

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Es müssen neuere Regeln sein, die hier Einzug gehalten haben: Bei der Nachrecherche fand ich eigene Schnappschüsse von einer After-Concert-Party am 8. März 2018, wo sogar das lockere Stehen an der Brüstung mit einem Feierabendbier offenbar kein Problem darstellte. Ist es der aktuell bedrohte Zustand der Auslegware, der diese Strenge motiviert? Jedenfalls fielen mir bei den Zugängen zu den oberen Balkons schäbige Flecken und abgewetzte Flächen auf. Was wird die nächste Konsequenz sein? Kontrolliert das Personal an herbstlichen Regentagen das Schuhwerk der Besucher? Werden nächstens Museumspantoffeln ausgegeben? Das feine Abwägen ist bei derartigem Denkmalsch(m)utz eine echte Herausforderung!

Musik gab es an jenem Abend im Oktober auch. Oscar Jockel dirigierte die auf unterschiedliche Positionen im Raum verteilte Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker. Ein bearbeiteter Satz von Giovanni Gabrieli (Venedig, San Marco!) bildete die Introduktion zur Uraufführung einer Eigenkomposition für fünf Orchestergruppen (paths in the sky). Eine effektvoll gesetzte und bis zum Schluss den ganzen Raum einbeziehende Partitur, mitunter aber mit Klangtechniken, die man unter anderem schon bei Ligeti findet und die dort noch immer die Kraft der Authentizität besitzen.

  • Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

 

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Denkmalschmutz in der Berliner Philharmonie. Foto: mku

Denkmalschmutz in der Berliner Philharmonie. Foto: mku

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