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Vermutlich Sven Ferchow. Foto: privat
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Rockin‘ in a free world

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Ferchows Fenstersturz 2020/09
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Ich bin dämlich: Malle-Urlaub abgesagt. Oma in den Keller gesperrt. Lebensmittel auf Paletten anrollen lassen. Dazu 20.000 MNS-Masken geordert. Wozu die Vorsicht, wenn NRW am 4. September 13.000 Zuschauer in eine Düsseldorfer Konzerthalle pfercht? Natürlich gemäß der föderalistisch zusammengeklöppelten Corona-Schutzverordnung bei gleichbleibendem Pegel. Gemeint ist freilich der Infektionspegel.

Wenn der stimmt, dürfen Bryan Adams, Sarah Connor & Co auftreten. Aber was rege ich mich auf? Grundsätzlich sind die Vorschriften für dieses Corona-Konzert exakt das, was ich immer wollte.

Regel 1 – Abstand. Bedeutet: Endlich keine bärtigen Langzeitstudenten mehr, die nach wochenlangem Hygienestreik neben mir stehen, mich anmüffeln und sich wegen der Demo „Latte Macchiato mit Sojamilch in der Mensa“ über die Musik hinweg anschreien, ja anspucken. Endlich kein Achselschweiß mehr, der mir ungefragt ins Gesicht gerieben wird, weil der Künstler will, dass man die Arme hebt und das für den Stehnachbarn im Cord-Sakko entweder in der DNA liegt oder der Höhepunkt des Jahres ist. Endlich keine Knoblauchfahne mehr, die mir die Öko-Mama im Jute-Kleid ins Gesicht wehen lässt, weil sie dem Kind vorher noch die Bio-Pastinake mit Knobi püriert hat statt ein Gläschen zu kaufen.

Endlich keine Ü-Vierzigerin in fünf Zentimeter Abstand mehr neben mir, die nach dem ersten Zuprosten ungefragt mit ihrer Lebensgeschichte „jung geheiratet – zu früh Kinder – zu lange Selbstaufgabe – jetzt getrennt“ beginnt und „das Leben ist schön“ wimmert. Ist es nicht und jetzt bleib’ da drüben stehen und halt die Klappe.

Regel 2 – Alkoholverbot. Bedeutet: Endlich keine Verbrüderungsszenen mehr mit Hipstern, die rotzbesoffen ihren Cold Brew Coffee mit Gin aufgepimpt haben und nun glauben, jeden, dem sie über die Schuhe stolpern und ihren Drink in die Hose schütten, umarmen zu müssen und völlig sinnfrei, aber mit Geifer ins Gesicht zu brüllen: „Alter, so geil!“. Endlich keine heimtückischen Kotzpfützen mehr. Man spuckt, wo man steht. Das schafft fürs Heimgehen präzise Ausweichmöglichkeiten. Endlich keine wässrige Bier-Plörre mehr, die Erstsemester im Nebenjob, kostümiert mit drei Meter hohen Fähnchen, aus hygienisch bedenklichen Schläuchen in kaum weniger bedenkliche Plastikbecher spritzen.

Regel 3 – Maskenpflicht. Bedeutet. Endlich kein Würgereflex mehr beim Betrachten diverser Nasen-Piercings, an denen noch die Überreste der letzten Schneuzung baumeln und die vorrangig von Mädels mit tiefschwarz geschminkten Augen getragen werden. Endlich keine Typen mehr mit geflochtenen Ziegenbärtchen oder Klobrillenbart erdulden, an dem noch die Fragmente der letzten Speisung schaukeln. Endlich keine Spuckattacken mehr von hinten, weil das englische „TH“ beim Mitsingen knallhart mit der zwischen den Vorderzahnreihen festgekeilten Zunge herausgepressssst wird. Endlich und danke, liebe Düsseldorfer Konzertveranstalter, sprechen wir von wahrhaftiger Freiheit.

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