Stille kann beglückend sein. Im Leben, in der Musik vor allem. Im Fall der erzwungenen Stille ist das anders. Lehrbeispiel 7. Oktober. Bedrückend, geradezu beschämend, mitangesehen haben zu müssen, wie sich vor Jahresfrist die intellektuellen Milieus weltweit in geflissentlichem Wegschauen, Stillschweigen, Stillhalten übten, ja, in klammheimlicher bis offen gezeigter Zustimmung. Standardmäßig, Judith Butler hat es wie immer vorgemacht, wird stets so lang kontextualisiert, bis die Juden selber schuld sind am Antisemitismus. Das ist das Muster. Alle haben sie gelernt, die verstimmte Orgel der Täter-Opfer-Umkehr zu traktieren, ohne zu bemerken, dass ihr Material abgestanden, verbraucht, kontaminiert ist. „Immer noch“, so Johannes Beeke von der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, „werden postkoloniale Dogmen aus den Achtziger- und Neunzigerjahren als neu und innovativ bestaunt“. (FAZ, 2.9.24) Kolonialismusvorwürfe gegen das „zionistische Projekt“, die „im Kern“ zurückgingen auf PLO-Propagandaschriften der Sechzigerjahre. Wofür man besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt.
Sprich auch du
Journalistisch war damit der Aufhänger gesetzt. Das Echo in den hiesigen Musikszenen praktisch gleich Null. Eine Ausnahme war der Artikel „Das hat mein Heimatgefühl hierzulande tief verletzt“ des israelisch-deutschen Komponisten Eres Holz über Terror, Trauma, Teilnahmslosigkeit (nmz 12/23-1/24). Solidarität seitens der benachbarten freien Szenen, Jazz, zeitgenössische Musik? – Fehlanzeige. Für die hiesigen Raver rang sich „Ravetheplanet“ noch eine korrekt gegenderte Fassungslosigkeit ab. „Die Verwerflichkeit des Handelns der Täter*innen – und ihrer Sympathisant*innen – können wir nicht mehr in Worte fassen!“ Das war’s dann aber auch. Heute, nach einem Jahr, ist man, wie alle anderen, wieder auf Betriebstemperatur. Szeneaktivisten, Komponisten „untersuchen“ wieder „öffentlich unterirdische Räume „, sondieren die „kollaborative Arbeit im Kontext von Musiktheater“, vor allem aber sprechen sie wieder über das, worüber sie am liebsten sprechen: über sich. Alles soweit in Ordnung also. Und wenn dann doch einmal vom Verdrängten die Rede ist, dann von dem der anderen. „Gesellschaftlich Verdrängtes und kollektive Ängste in aktuellen Opern“ heißt ein angekündigter Oktober-„Artist-Talk“ zu „Horror-Opern“. Was Sinn macht. So lange der Schrecken auf der Bühne bleibt, kommen wir klar.
Bliebe Teil zwei der Frage: „Wie dazu Stellung nehmen?“ – in jedem Fall doch künstlerisch. Wie, das bleibt dem Künstler überlassen, was freilich voraussetzt, dass er sich von Celans „Sprich auch du“ adressiert fühlt. Womit wir passenderweise den Namen eines Komponisten ins Spiel bringen können, zu dem wir, anlässlich seines 150. Geburtstages, gerade so bewundernd aufblicken. Einem Arnold Schönberg hat ja nämlich auch niemand gesagt, dass und wie er einen „Survivor from Warsaw“ schreiben soll. Hat er einfach gemacht. Und so, ganz nebenbei, seine wie die Gegenwärtigkeit seiner Kunst unter Beweis gestellt. Allemal die beste Wahl, der Selbstverzwergung zu entgehen.
- Share by mail
Share on