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SWR: Endstation Gericht?

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Nachschlag (2012/09)
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Über die geplanten Veränderungen bei den Sinfonieorchestern des Südwestdeutschen Rundfunks in Stutt­gart und Baden-Baden/Freiburg ist hier schon mehrfach ausführlich und kritisch berichtet worden. Dass die Auflösung und Neuformierung der beiden Orchester zu einem einzigen Ensemble einen kulturpolitischen Skandal bedeutet, hat nicht nur die nmz festgestellt: Führende Musikinstitutionen, kompetente Fachleute, zahlreiche Zeitungen mit ihren Musikkritikern, die Berliner Philharmoniker, Musikhochschulen, betroffene Städte wie Freiburg im Breisgau, viele Komponisten, große Musikverlage und nicht zuletzt fast 30.000 Musikfreunde aus baden-württembergischen Landen und darüber hinaus aus aller Welt, haben sich gegen die Pläne der Intendanz des SWR ausgesprochen. Den Intendanten hat das alles nicht beeindruckt. Er hat sich von seinem von allen guten Geistern verlassenen Rundfunkrat sein Fusionsvorhaben absegnen lassen, mit der scheinheiligen Klausel: wenn bis Ende September ein alternativer Finanzierungsvorschlag von der Orchesterseite und deren „Freunden“ vorläge, könnte man über das Weitere noch einmal sprechen. Andernfalls gilt der Fusionsplan als durchgewunken.

 

 

Wer den Intendanten Boudgoust bei diversen Gesprächen und Diskussionen erlebt hat, muss den Eindruck gewonnen haben: dieser Intendant will gar nicht länger diskutieren oder gar Alternativen ernsthaft prüfen. Beschlossen und verkündet – frei nach Shakespeares Cäsar: Sag‘ Boudgoust will nicht, das genügt! Als vielleicht letzte Chance, das Verfahren noch zu stoppen, bliebe der juristische Weg. Mit einer einstweiligen Verfügung müsste die Einleitung der ersten Fusionsschritte auf eine der Sache angemessene Frist ausgesetzt werden. Die beiden bisherigen, kurzfristig angesetzten Zeiten für die Erarbeitung von Alternativen verstoßen gegen jeden Anstand, hatten nur den Zweck, die Orchester zeitlich unter Druck zu setzen, wohl wissend, dass in so kurzer Zeit keine dauerhafte, tragfähige Lösung für die Orchesterfinanzierung gefunden werden  kann.

Ein zweites juristisches Verfahren stößt wahrscheinlich in rechtliches Neuland vor: Kann ein Rundfunkintendant kraft der ihm an sich zugestandenen Gestaltungsautonomie, einfach nur so, über ein in vielen Jahrzehnten gewachsenes, hochqualifiziertes, weithin und international anerkanntes und für die Fortschreibung der Musik und deren Geschichte unentbehrliches Orchester, wie speziell das Baden-Baden/Freiburger Ensemble eines ist, verfügen, selbst wenn es dafür noch der Zustimmung eines Rundfunkrates bedarf? Ist nicht die Integrität, der „Kunstwert“ eines bedeutenden Orchesters höher zu veranschlagen, „schutzwürdiger“ als die formale Verwaltungshoheit in einer Rundfunkanstalt? Das sind Fragen, die letztlich nur das Bundesverfassungsgericht beantworten könnte. Wer aber setzt das Verfahren in Gang? Der Förderverein des SWR-Orchesters Baden-Baden/Freiburg? Gewichtige Kommunen wie Freiburg und Baden-Baden?  Der Deutsche Musikrat? Vielleicht sogar die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), die damit endlich einmal über ihr vornehmliches Gesichtsfeld hinausblicken würde, in dem vor allem Stellensicherung und Sozialpläne dominieren. 

Entscheidend aber ist auch der Wille in den Orchestern selbst. Wenn sich die Musiker schon mit dem angeblich Unvermeidlichen abgefunden haben sollten, braucht sich von außerhalb niemand mehr aufzuregen oder gar engagieren. An öffentlicher Unterstützung hat es bisher nicht gefehlt, im  Gegenteil: Der Protest der gesamten Musikwelt gegen die Pläne des SWR sollte auch die Widerstandskraft in den Orchestern selbst stärken. Unbotmäßigkeit kann in extremen Situationen durchaus rechtmäßig sein.

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