Das Gesetz zur Einführung der Sammlung aller Daten eines Menschen auf einem Chip – angeblich im Dienste der Patientenschaft und vordringlich der Rationalisierung des maroden Gesundheitswesens dienend – glitt widerstandslos wie dick mit Vaseline beschmiert durch Körper und Geist unserer Volksvertretungspersönlichkeiten in allen Kammern. Geschickt wurde damals auch das Scheitern der männlichen Fußball-Nationalmannschaft bei der „Euro zu Hause“ genutzt. (In der Vorrunde zwei Niederlagen: 1:9 gegen Liechtenstein, 0:4 gegen San Marino.) Die Ausweisung des Trainers Julian Nagelsmann nach Katar gegen eine Ablöse von drei Milliarden (damals noch:) Euro half als wirksamer Aggressionsblitzableiter. Begleitet von zahlreichen Schlag-An- und Überfällen mit und ohne Maßkrug aus verständlichem Volkszorn vor allem in Bayern.
All dies konnte selbst ich als erfahrener volkskundiger Seismograf mit soliden Grundkenntnissen im Computerwesen und bekannt launiger Kommentator erst soziologisch und sozialpolitisch korrekt einordnen, als ich zuerst bei meinem Arzt, dann auch bei meinem Apotheker im Rahmen einer Fußwarzen-Diagnose und -Behandlung je zwei mir unbekannte Datenlesegeräte sah.
Neugierig, wie ich immer noch bin, fragte ich nach dem Sinn. Es seien Erfassungsgeräte für die seit zwölf Jahren mit ein paar Milliarden Entwicklungskosten leider nun gesetzlich vorgeschriebene elektronische Gesundheitskarte. Jeder Fitz an Feststellung, jede Diagnose, jede Verordnung, die Ergebnisse einer jeden Anwendung oder Untersuchung werden auf dem Chip der Karte (und später wohl heimlich auf dem Großrechner des Gesundheitsministeriums) gespeichert. Zwei Geräte seien leider nötig, weil es immer noch Sturköppe gebe, die ihre Daten nicht weitergeben wollten. Ein Trick hülfe: Das zweite Gerät verwandle die Daten in einen angeblich verschlüsselten QR-Code, der nur nach Freigabe des 19-stelligen Passwortes (muss vier Zahlen und vier unterschiedliche Sonderzeichen enthalten) von der medizinischen Person des Vertrauens einmalig ausgelesen werden kann.
Ich verbiete natürlich die Speicherung und lasse mir so einen Code für eine Warzensalbe geben. Gehe zu meinem Apothekerfreund, der den Code einliest. Und herzlich zu lachen beginnt. Er dreht den Bildschirm seines Compis zu mir, und ich sehe: Nasentropfenabhängigkeit, Platt- und Schweißfüsse, grauer Star, Alkoholabusus, daraus folgend psychologische Auffälligkeiten. (Podcast-Beratung schonungslos durch Dr. Hirschhäusl angebracht), Suizidgefahr dritter Klasse, (Jammern, Kritisieren, Unzufriedenheit), – Seite eins von sieben, bitte weiterblättern … Das schenke ich Ihnen, aber nicht mir. Die KI meiner Krankenkasse hat sich zur (Nicht-)Beantwortung meiner dringlichen Fragen die Stimme meiner verstorbenen Mutter draufprogrammiert – und sagt mir warmherzig bedauernd voraus, dass meine Fußwarzen demnächst auch noch Glatze, Nase und Hände befallen würden. Die Auskunft koste 200 Dollar. Eine Therapie sei angesichts meiner finanziellen Verhältnisse weder sinnvoll noch möglich. Tags drauf radle ich zu einer ländlichen Wiese, die trotz der Erderwärmung noch etliche hitzeharte Blüten treibt. Ich pflücke Löwenzahn und trage die Milch auf meine Fußwarzen auf. Die werden schwarz. Soll helfen, hat mir meine Großmutter vor gut 70 Jahren empfohlen. Mal sehen …
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur