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Wortgeknatter

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Frühling wird’s, günstiges Wetter für allerlei Frivolitäten im Freien. Das Herumtreiben im Wald, das im Winter kalte Nasen machen würde, macht wieder mehr Spaß. Das gilt auch für die weniger harmlosen Dinge, vom Überfall des kleinen Ganoven an der Straßenecke bis zur großen und staatsmännisch geplanten Expedition der Firma Bush, Blair & Exxon Inc. in die Wüsten von Big Schurkistan. Dort endlich für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen ist bekanntlich nicht ungefährlich und beim Erscheinen dieser Kolumne könnte schon der Tag gekommen sein, an dem es heißt: Seit heute früh wird zur Verteidigung unserer Zivilisation zurückgeschossen.

Kein Wunder, dass in diesen Zeiten nicht nur die Fantasien der kleinen Börsenjunkies, sondern auch die großen strategischen Überlegungen zu sprießen beginnen. Zum Beispiel liest man in einer einschlägigen Publikation: „Die Hit Force (mit Sitz im Berliner Headquarter) wird...“ – Na Herr Schröder, schon wieder ein Wortbruch? Nach der Steuerlüge, der Sozialabgabenlüge, der Weihnachtsmannlüge und der Januarwetterlüge nun noch die Iraklüge? Das haben wir uns doch gedacht! Doch lesen wir weiter: „Die kundenindividuelle und schwerpunktmäßige Repertoirebearbeitung wird konsequent fortgeführt durch hoch spezialisierte Sales Forces wie der Breaker Force, Special Sales Classics & Jazz oder Special Sales Koch. Artist Development/Breaking New Acts, die Akquisition neuer Trend-Outlets, das Forcieren von Impulskäufen sowie ein enger Kontakt zu den Opinion-Leadern und Trendsettern ist hier als klare Zielsetzung definiert.“

Die klare Zielsetzung der Special Forces, Saddam umzu... – äh, Moment, stopp, das ist ja der falsche Film! Da geht’s gar nicht um Öl, sondern um Kultur. Nicht Laserkanonen sollen abgedrückt, sondern Tonträger auf den Markt gedrückt werden. Deshalb ein etwas modifizierter Angriffsplan: Impulskäufe forcieren! Trend-Outlets akquirieren! Opinion Leaders kontaktieren! Als weitere Maßnahmen und Zielsetzungen werden aufgeführt: Vermeidung von Overshipments und Zurückgewinnung von Tonträger-Flächen. (Wo liegt dieses Wüstenterritorium?) Doch die wohl gefährlichste Aufgabe, sozusagen der Häuserkampf in dieser Strategie, lautet: Der Frontline-Vertrieb bearbeitet vor Ort die Hit Force-Veröffentlichungen! Dafür stehen zehn Sales Manager zur Verfügung. Diese Spezial-Eliteeinheit ist vermutlich mit Nachtsichtgeräten und geräuschloser Munition ausgerüstet.

Das alles steht nicht in einer Publikation für Militärstrategie, sondern ist nachzulesen in „Musikmarkt online“, wo zum Jahresbeginn der Managing Director von Universal Sales die „strategische Redefinition der traditionellen Sales Force“ verkündet. Gemeint ist wohl eine Neuausrichtung des Vertriebssystems. Man kann einfache Dinge bekanntlich auch auf komplizierte Weise sagen. Das suggeriert überdurchschnittliches Denkvermögen und macht auf die Dummen gehörig Eindruck.

Ist es Zufall, dass solche knatternden Managersprüche in dem Moment laut werden, da sich der Scharfschützen-Jargon der Kriegstreiber in den Medien breit macht? Gibt es eigentlich eine Konvergenz zwischen der Begriffswelt, die heute auf den Managerschulen gelehrt wird, und der Begriffswelt der Militärstrategen? Die Militarisierung des Denkens, wie sie Karl Kraus in seinen „Letzten Tagen der Menschheit“ am Beispiel des Ersten Weltkriegs darstellte, nimmt sich gegenüber diesem aggressiven Technokratenjargon jedenfalls wie romantisches Gedöns aus.

Dass Erfolg auf dem Gebiet der U-Musik nur mit kühler Strategie und viel wirtschaftlicher Power zu haben ist, ist nicht Neues. Erfolg heißt hier ausschließlich Verkaufserfolg und nicht künstlerisches Gelingen. Er stellt sich – ob gute oder schlechte Musik – in der Regel nur dann ein, wenn in eine Werbekampagne entsprechend investiert worden ist, was den alten Ausspruch, dass der Teufel immer nur auf den größten Haufen scheißt, einmal mehr bestätigt.
Aber in diesen unsicheren Zeiten ist auch auf den Teufel nicht mehr Verlass. Die Multis unter den CD-Firmen, zu denen auch Universal gehört, haben in den letzten Jahren gehörig Federn lassen müssen, nicht nur wegen der illegalen Downloads im Internet. Den Schrott, den sie mit viel Geld auf den Markt drückten, wollte das dumme Volk einfach nicht kaufen. Sondern es hielt sich an die bewährten Titel, und diese holte es sich aus dem Netz. Obwohl all die Sales Manager, Promotion Manager, Executive Manager und Senior Vice Presidents hoffnungsvoll die Arme ausbreiteten, fiel kein Manna vom Himmel. Der Teufel litt an Verstopfung.

„Es ist das erste Mal, dass diese Branche seit 20 Jahren in einer tiefen Krise steckt“, sagte Ende 2002 ebenfalls in „Musikmarkt“ ein Sony-Vertreter. „Die Leute wachen auf und merken: Das Schlaraffenland ist abgebrannt, jetzt müssen wir was tun.“ Aber was? Genügt es, mit den Versatzstücken einer verkommenen Militaristensprache eine erhöhte Schlagkraft der Sales Forces einzufordern? Soll der Konsument noch zielgenauer ins Visier genommen werden? Soll ihm der finale Blattschuss verpasst werden, wenn er partout nicht gehorchen will?

Eine knifflige Aufgabe für die in ihrem Denkkäfig gefangenen Konzernstrategen. Vielleicht fällt dem einen oder andern dazu etwas ein. Vielleicht kann er sogar mit Hilfe seines Computers neue Logistikmodelle entwerfen. Aber vielleicht liegt das Problem, wie es auch der wütende Minister Rumsfeld im Hinblick auf Europa messerscharf erkannt hat, ja auch einfach darin, dass die Leute den Krieg nicht mögen, weder den im Irak noch den an der Sales Front. Und schon gar nicht den in der Sprache.

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