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Auf der Suche nach dem Pop kreuzen sich Wege

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Zur Essener Tagung „Quo vadis Pop?“ · Crossover von Soziologie, Medien- und Politikwissenschaften
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Ginge es nach der Negativen Dialektik der Frankfurter Schule, würde die Soziologie auch weiterhin einen großen Bogen um die Popmusik machen. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno hätten im Angesicht einer Popkultur heutigen Ausmaßes sicher noch einmal ihren Aufsatz „Kulturindustrie“ gezückt, den Zeigefinger erhoben und lauter denn je „Aufklärung als Massenbetrug!“ gerufen: Popkultur gewissermaßen als letzte Bestätigung, dass die Einheit von „Manipulation“ und „Massenbedürfnis“ nunmehr final hergestellt sei.

Dass sich die Soziologie dennoch „crossover“ mit anderen Wissenschaftsdisziplinen am 10. und 11. November in Essen traute, sich der Popmusik als einer wissenschaftlichen Herausforderung zu stellen, markiert daher auch die Emanzipation von wissenschaftlichen Idolen und ihren kulturellen Vorurteilen: Die Essener Tagung „Quo vadis Pop?“ unter Leitung von Manfred Mai (Essen) und Klaus Neumann-Braun (Frankfurt/M.) näherte sich der Popmusik nicht mehr ideologisch sondern phänomenologisch – also von der Sache her.

Aber da begannen gleich auch die Probleme: Wie wissenschaftliche Zugänge finden zum explodierenden Gemisch aus Stilrichtungen und den sich dahinter verschanzenden und darin inszenierenden Lebenswelten? Wie beides einordnen in ein wenigstens einigermaßen schlüssiges Theoriekonzept? Und: Wie dabei gleichzeitig der Gefahr einer vorschnell totalisierenden Perspektive entgehen? Vorsichtig zog der Ulrich-Beck-Schüler Neumann-Braun zu Beginn deshalb einige individualisierungstheoretische Stege über das sumpfige Terrain: Ausdrucksform einer fortgeschrittenen „Inszenierungs- und Distinktionsgesellschaft“ sei der Pop, erklärte er. Und dieser gesellschaftliche Trend zur Unterscheidung und Abgrenzung über Pop bei gleichzeitigem Zusammenrücken in der eigenen Geschmacksgruppe werde in den nächsten Jahren noch zunehmen. Und damit auch die schon jetzt unübersehbare Vielfalt an Pop-Formen. Es werde „keine Rückkehr mehr geben zu einer klaren übersichtlichen Popszene“ wie noch Anfang der 70er-Jahre. Dass bahnbrechende neue Stilrichtungen in der Popmusik nicht mehr zu erwarten seien, darauf hatte zuvor schon Manfred Mai hingewiesen. Die Zukunft der Popmusik liege in der Kunst, immer mehr alte Formen auf originelle Weise neu zu kreuzen – „Crossovers“ genannt.

Die bunte Evolution der Formen und Musikszenen entzünde sich immer stärker an der „Reibungsfläche zwischen Kunst und Kommerz“, meinte Olaf Karnik (Köln). Die in immer kürzeren Zyklen erfolgende Geburt von Szenen und Gegenszenen beschrieb er als Pendelbewegung zwischen „Einzigartigkeitsanspruch“ und „Ausverkaufsängsten“. Der Mechanismus sei immer derselbe: Wachse sich eine verschworene Szene aus ihrem anfänglichen „Underground-Dasein“ zur Massenbewegung aus – zum Beispiel HipHop und Techno – sei der Protest der Puristen vorprogrammiert: „Der Kommerzfraktion wird dann vorgeworfen, die Musik zu verraten“ – Abspaltungen der Puristen folgten. Pech nur für die Puristen: Der Markt sei inzwischen schneller als das Originalitätsbedürfnis der „Kunstfraktion“ in den jeweiligen Szenen: „Der Underground selbst sei inzwischen schon mainstreamisiert“, deutete Karnik die zunehmende Aussichtslosigkeit dieses Rennens zwischen Szenen-Hasen und Musik-Markt-Igel.

Wie stark bestimmte Szenen in ihrer Identitäts- und Originalitätsgenerierung historischen Vorbildern folgen, zeigte Christoph Scholder (München) – Schüler von Techno-Papst Ronald Hitzler (Dortmund) – am Beispiel der Gothic-Bewegung. Die Vergemeinschaftung der Gothics erfolge über Chiffren wie „Schottland, Nebelschlösser, Kerzenlicht, Rotwein, Friedhöfe“. Aber woher kommen diese kollektivierenden Attribute, über die sich die etwa 60.000 Gothics als Jünger einer neuen Innerlichkeit wieder erkennen? Lebensmotto: „Ernst macht Spaß“: „Aus der Romantik“, antwortet Scholder. Wissenschaftlich interessant findet er, dass diese Übernahme aus der Zeit von Novalis offenbar „unreflektiert“ erfolgt sei: „Die Gothics wissen nicht, dass sie eine 200 Jahre alte Hochkultur nachspielen“, wundert sich Scholder. Parallelen gebe es auch auf der ideologischen Ebene: Verstand sich die alte Romantik schon als „Oppositionsbewegung“ der Innerlichkeit gegen den kalten Rationalismus, so inszenierten sich heute auch die Gothics als „Antwort auf den Verlust von Verbindlichkeit“.

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