Verzweifelt fragten Regensburger Studenten auf Facebook nach Karten. Ausverkauft?! Das Konzert einer studentischen Bigband mitten unter der Woche? Gar zweimal hintereinander.
Das Geheimnis um die Sogwirkung der Veranstaltung des Uni Jazz Orchesters (UJO) Regensburg unter Leitung des Bassposaunisten Christian Sommerer lüftet sich rasch, liest man das weitere Line-up der Show, die sich zur Premiere eines ungewöhnlichen Experimentes zusammengetan haben. Kaleb Erdmann, Thomas Spitzer und David Friedrich heißen die drei Poetry Slammer, die mit der Bambergerin Clara Nielsen als Gast-Slammerin, dem UJO und nicht anwesenden Komponisten der Uni Graz ein Projekt auf den Weg gebracht haben, welches das Potential hat, Vorbild für ähnliche musikalisch-literarische Abenteuer zu werden.
Bei den „Urban stories – Poetry meets Jazz“ trafen laut Sommerer erstmals „Sprecher als Solisten auf ein Jazzorchester – das ist etwas völlig Neues“. Blaupausen hat es dennoch gegeben in vielfältiger Weise. „Jazz & Lyrik“ mit Gert Westphal und Peter Rühmkorf in Deutschlands Westen und die großartige, in den 90er- Jahren wiederbelebte Reihe „Lyrik – Jazz – Prosa“ in der DDR, Deutschlands geteiltem Osten. Geht man noch ein Stück zurück, trifft man in den 70er- Jahren auf die Beatnikgeneration mit Autoren wie Jack Kerouac und Alan Ginsberg, welche die Bebop-Musiker anhimmelten.
Der afroamerikanische Autor, Musikkritiker und Aktivist Amira Baraka (Leroy Jones), der selbst oft mit Jazzern unterwegs war und seine politischen Botschaften von der Bühne donnerte, schrieb: „Poesie ist in Musik verwandelte Sprache.“ Dabei bezog er sich auch auf die Tradition der „oral history“, für die in unserer Literatur die Wurzeln fehlen. In Regensburg stellten die Poetry Slammer daher eigene Texte vor, die sie ähnlich rhythmisiert und temporeich wie auf Slams zur eigens komponierten Musik vortrugen. „Etwas ist passiert,“ orakelte Kaleb Erdmann düster zu einem wuchtigen Dubstep des Grazers Reinhold Schmölzer, der sich schwer durch den voll besetzten Theaterraum wälzte. Eine musikalische Herausforderung, die von den jungen Musikern – darunter eine überproportional mit Bläserinnen besetzte Sax-Section – mit enormer Verve, Spielfreude und Hingabe großartig bewältigt wurde.
Führt man sich vor Augen, dass hier Amateure am Werk sind, die neben ihrem Studium tagelang proben und ihre schmale Freizeit investieren, kann man über die musikalische Qualität des UJO nur staunen. Eindrucksvoll meisterte das kompakt und straff klingende Orchester auch schwierige Passagen, spielte sich vom swingenden Reggae – Thomas Spitzer räsonierte dazu über „Einsamkeit“ – über einen lockeren Funk – Erdmanns lyrisches „Die Sonne“ – bis zum Latin Waltz und einen wilden trashigen Ska-Punk-Ritt souverän durch verschiedenste Stilistiken und Formen. Häufig mit kraftvollem musikantischem Witz, wenn die Band hinterm geschlossenen Bühnenvorhang das Publikum imitiert oder den ironisch-kritischen „Schluckauf“ Friedrichs in kollektiven Lautäußerungen paraphrasierend begleitet. Herrlich. Die Texte der vier jungen Autoren bewegten sich zwischen romantisch erscheinender, leichtfüßiger Ironie, mit der Nielsen ihren begeisterten Zuhörern gern auf die Zehen tritt. Erdmanns eindringliche Texte kreisen nachdenklich um Desorientiertheit und innere Konfusion, während sein Hamburger Kollege Friedrich pointiert-boshafte Rülpser von sich gibt und das Ego in den Mittelpunkt stellt. Beziehungsprobleme scheinen alle drei Männer (gehabt) zu haben, wobei Spitzer sich immer wieder in absurd-schräge Abgründe guckt: „Sag’ ‚Nein‘, sag ‚Nein‘ | sag’ immer nur ‚Nein‘ | und ess’ eine leckere | Rübe mit Schleim.“ Ein gelungenes Experiment, das eine breitere Wirkung und Weiterentwicklung verdient.
Buchtipp
Bunt und kühl. Mit Poetry Slam Texten von Kaleb Erdmann, David Friedrich und Thomas Spitzer, ConBrio Verlag Regensburg 2013, 140 Seiten, Paperback, CB 1240, ISBN 978-3-940768-40-7, € 9,00
Infos: www.unijazzorchester.de