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Foto: Ralf Dombrowski
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Das Prinzip Hoffnung heißt Musik

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Die German Jazz Trophy 2017 geht an den Pianisten Abdullah Ibrahim
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Inzwischen lebt Abdullah Ibrahim im Chiemgau. Und in Kapstadt, wenn er sich auf den Weg nach Hause macht. Schließlich sind 83 Lebensjahre kein Grund, sich auf erworbenen Lorbeeren auszuruhen. Noch immer ist er unterwegs, spielt Konzerte, unterrichtet und versucht, die eigenen Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Im District Six von Kapstadt beispielsweise, dem Viertel, in dem er aufgewachsen war, das später eines der Zentren der Bürgerrechtsbewegung und von der Regierung 1966 mit Bulldozern weitgehend dem Erdboden gleich gemacht wurde, gründete er nach dem Ende der Apartheid seine M7 Musikschule, in einem der wenigen Gebäude, das von damals übrig geblieben war. Mit der Zeit kamen weitere Projekte wie die daran anknüpfende M7 Foundation hinzu, die sich im ganzen Land um die kulturelle und musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen kümmern. Es ist ihm ein Anliegen, denn er weiß, was das Leben für Härten mit sich bringen kann. Bildung ist Hoffnung, Kunst und Musik können Perspektiven weisen, spirituelle und physische Gesundheit sind die Basis. Botschaften, die er gerne zusammen mit seinen Liedern und Klängen weitergibt.

Denn als Abdullah Ibrahim noch Dollar Brand hieß, hatte er wenig Chancen bekommen. Geboren am 9. Oktober 1934 in Kensington, einem der Armenviertel von Kapstadt, lief er von zuhause weg, lebte auf der Straße, obwohl er eigentlich gut war in der Schule. Zwei Klassen hatte er übersprungen, wollte Medizin studieren, dann Musik, beides unmöglich für Schwarze im Südafrika der Apartheid. Also versuchte er es auf eigene Faust, übte Klavier in einer Garage, bis zu zwanzig Stunden am Tag. Jazz wollte er damals spielen, landete aber bei Tanzmusik. Ein wenig Unterricht hatte er bei seiner Mutter, seiner Großmutter, auch mehrere Jahre nebenan bei einer Klavierlehrerin. Vieles aber lernte er auf der Straße, in den Clubs und schaffte es mit viel Ausdauer, in die richtigen Kreise zu kommen. Brand spielte bei Revuen, begleitete Miriam Makeba und gründete 1959 die Jazz Epistles, die wahrscheinlich wichtigste frühe Jazzband in Afrika. Drei Jahre später jedoch hielt es ihn nicht mehr in Südafrika. Gemeinsam mit seiner damaligen Frau Sathima Bea Benjamin machte er sich auf den Weg nach Europa, lebte unter anderem in Zürich und lernte endlich all die Musiker kennen, die ihn interessierten, Ornette Coleman und Don Cherry, John Coltrane und vor allem Duke Ellington.

Es war eine faszinierende Zeit, als er ein paar Jahre lang als dessen Publisher fungierte und Werke wie das erste Sacred Concert in die Finger bekam, es für den Verlag transkribieren und in die passende Form bringen durfte. Ellington wurde zu seinem Mentor, vermittelte ihn an Plattenfirmen und Konzertagenten. Dollar Brand spielte 1965 beim Newport Jazz Festival, tourte allein und mit seinem Förderer, arbeitete mit Elvin Jones und Don Cherry. Er entdeckte die spirituelle Seite der Musik, konvertierte zum Islam und hieß fortan Abdullah Ibrahim. Anfang der Siebziger studierte er in New York an der Juilliard School bei Hall Overton, mischte in der Avantgarde-Szene mit, konzentrierte sich aber mehr und mehr auf die Verbindung von Jazz und traditioneller afrikanischer Musik. Bis in die späten Achtzigerjahre agierte Ibrahim von Amerika aus, engagierte sich mit Festivals, Konzerten und Statements gegen die Apartheid und nahm viele Platten als Solo-Künstler oder mit Combos wie seiner African Group und Ekaya Band auf, häufig in Kooperation mit der Münchner Plattenfirma Enja.

Die Kontinuität, Bewusstheit und innere Kraft seiner Musik ließ ihn zu einem der zentralen Botschafter des afrikanischen Jazz und der Musik seiner Heimat überhaupt werden. Abdullah Ibrahim spielte bei der Amtseinführung Nelson Mandelas 1994 und wurde Ehrendoktor der Universität Kapstadt. Aus dem Township-Jungen wurde eine Autorität, die bis heute ihre Spuren im Klanggefüge der internationalen Musikwelt hinterlässt. Ibrahims choralhafter Stil, aus kleinen Motiven große Hymnen abzuleiten, die Fähigkeit, auf modaler und polymetrischer Basis umfassende Spannungsbögen zu entwickeln, die Würde, mit der er Musik als ein Geschenk darzustellen versteht, sind einzigartig in der multikulturellen Vielfalt des Jazz.

„Ich bin jeden Tag mit Musik gesegnet“, meint Abdullah Ibrahim selbst. „Ich reise noch immer gerne und habe Lehrer, die mir etwas beibringen, manche jünger als ich. Es gibt so viele Unterschiede, aber der Herzschlag der Menschen ist überall gleich. Kategorien wie Religion, Rasse, Alter interessieren mich nicht. Mit Musik haben wir die Möglichkeit, Orte zu erreichen, die man sonst gar nicht die Zeit hat zu besuchen.“ Sie gibt Kraft, regt an und öffnet den Geist. Sie ist eine Chance zu Spiritualität und Abdullah Ibrahim ist ihr Botschafter. Damit geht die German Jazz Trophy 2017 an einen Meister der Bewusstheit, dessen Musik Menschen verbindet, berührt und inspiriert.      
 

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