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Im Stillen blühen die Klänge

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Sofia Gubaidulina in Gütersloh gefeiert
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Donaueschingen, Witten, Wien modern, Grazer Protokoll – man ist es gewohnt, diese Namen und Institutionen mit musikalischer Avantgarde gleichzusetzen. Musik besteht aber nicht nur aus ihren Premieren. Sie verlangt nach Eindringen in ihre „Geheimnisse“, nach Erfahrung und sensiblem Dialog zwischen Komponisten, Interpreten und Publikum, auch nach Gewöhnung. Erst aus zeitlicher Distanz, aus der ruhigen Beobachtung gewinnt Neue Musik oft ihre Perspektiven. Der Hörer erkennt Rück- und Querverbindungen, historische Aspekte, auch das Nach-vorn-Weisende einer neuen Komposition. Er wird oft überwältigt von der Ausdruckskraft Neuer Musik oder von ihrer virtuosen Konstruktion. Es gibt in unserer Musiklandschaft Stätten, die sich dieser „Vermittlung“ moderner Musik verpflichtet fühlen. Sie liegen bevorzugt in der „Provinz“, fern aller Aufgeregtheit. Und sie fanden und finden aufgeschlossene Zuhörer, die vor allem eines in die Begegnung mit den Komponisten unserer Zeit einbringen: Neugier. Drei dieser zukunftsfroh stimmenden Musikstätten traten in den letzten Wochen nachdrücklich hervor: In Gütersloh wurde Sofia Gubaidulina gehuldigt, in Weingarten Gerhard Stäbler, und in Nürnberg feierte Werner Heiders „ars nova ensemble“ sein Bestehen seit 30 Jahren. Gütersloh liegt 20 Kilometer westlich von Bielefeld, hat rund 90.000 Einwohner, ein Theater, eine Stadthalle und ist Sitz des Bertelsmann-Konzerns. Letzteres wirkt sich nicht weiter auf die Kulturszene der Stadt aus, was auch Vorteile besitzt – man frage beim Mailänder Musikverlag Ricordi nach, der seit einiger Zeit zum Bertelsmann-Konzern gehört. Mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln organisiert das Kulturamt der Stadt Gütersloh das Kunstleben der sympathisch-idyllischen und zugleich ein wenig anonym wirkenden Stadt. Opernaufführungen aus Detmold, Sinfoniekonzerte aus Wuppertal, Schauspiel aus Berlin und Hamburg wurden für den November 1998 angekündigt. Dann aber entwickelte man auch Ehrgeiz: Klaus Klein, seit mehr als einem Dutzend Jahren Kulturamtsleiter mit Staatsopernvergangenheit aus Hamburg, setzt sich engagiert für die Musik der Gegenwart ein. Natürlich kann und will er in Gütersloh kein zweites Donaueschingen installieren. Aber er möchte seinem Publikum die Musik unserer Zeit nahebringen, und der Weg zu diesem Ziel führt über den Komponisten „zum Anfassen“. Klein lädt Komponisten nach Gütersloh ein, die Musikfreunde finden Gelegenheit zu Begegnung und persönlichem Gespräch, und wenn der Komponist sich auf diese Weise erst einmal als halbwegs vernünftiges Wesen herausgestellt hat, dann hört jeder der anschließenden Aufführung – auch des sprödesten Werkes – zumindest neugierig zu. Auf diese Weise hat Klaus Klein schon zahlreiche Komponisten in Gütersloh präsentiert, mit ganz großem Erfolg natürlich Hans Werner Henze, den Sohn der Stadt. Bevor im kommenden Frühjahr Luciano Berio nach Gütersloh kommt, erschien jetzt die russische Komponistin Sofia Gubaidulina zu einem ihr gewidmeten Wochenende. Ein Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen brachte drei Werke zur Aufführung: „Introitus“ für Klavier und Kammerorchester (1978), „Impromptu“ für Flöte, Violine und Streichorchester (1997) sowie „Sieben Worte“ für Violoncello, Bajan und Streichorchester (1982). Das Ensemble „that“ mit Elsbeth Moser (Bajan), Kathrin Rabus (Violine), Elena Vassilieva (Sopran), Natalia Pschenitschnikova (Flöte), Edith Salmen (Perkussion), Wolfgang Güttler (Kontrabaß) sowie der Cellistin Maria Kliegel stellte „De profundis“ für Bajan solo (1978), „In croce“ für Violoncello und Orgel (1979) in der Fassung für Cello und Bajan (1991), „Silenzio“ für Bajan, Violine und Violoncello (1991) und die „Galgenlieder“, 14 Stücke für Gesang, Flöte, Schlagzeug, Bajan und Kontrabaß auf Gedichte von Christian Morgenstern (1996), vor. In einem Sinfoniekonzert der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Andrey Boreyko wurden das „Offertorium“, das Gidon Kremer gewidmete Konzert für Violine und Orchester (1981), und, zum ersten Mal in Deutschland, das Konzert für Viola und Orchester (1997 entstanden) aufgeführt. Zu diesem Musikangebot, das einen breiten, informativen Überblick über das Schaffen der Komponistin bot, kamen ein Vortrag über Sofia Gubaidulina (Dorothea Redepenning), ein Gespräch mit der Komponistin (mit Hans-Ulrich Duffek) sowie drei Filmvorführungen: Klaus Voswinckels ein wenig zu fernsehgerechter Film „Ein Schritt zu meiner Sehnsucht“ (produziert für den Bayerischen und Süddeutschen Rundfunk, 1996), Rolan Bykows Spielfilm „Die Vogelscheuche“ (1984), für den Sofia Gubaidulina die Musik komponierte, und Lilia Oliviers „Les enfants illegitimes d´Anton Webern“ (Die unrechtmäßigen Kinder Anton Weberns), in dem die Autorin (für La Sept Arte , 1993) die Wege Sofia Gubaidulinas und ihres Kollegen Valentin Silvestrovs in einer dichten Verbindung von lebendigem Gespräch und dokumentarischer Rückblende filmisch erzählt. Selbst für den informierten Teilnehmer war es wieder zugleich faszinierend wie bedrückend zu erfahren, unter welchen Bedingungen Künstler im sowjetischen Herrschaftssystem leben und arbeiten mußten. Sofia Gubaidulinas Werk stellt unablässig die Frage nach der Freiheit der künstlerischen Aussage, einer Freiheit, die sich nur in der künstlerischen Persönlichkeit zu formulieren vermag, nicht in irgendwelchen von außen verordneten politischen Kunstdoktrinen. Wer Sofia Gubaidulina, die heute in von ihr ersehnter Stille vor den Toren Hamburgs wohnt, in Gütersloh erlebte, wach, neugierig, gesprächsoffen, engagiert und humorvoll, begeistert auch über die Offenheit und Neugier eines wirklich interessierten Publikums, wer ihre Musik hörte und dann die Bilder aus einer Vergangenheit, die nicht weit zurückliegt, noch einmal sah, den überfielen diese Bilder wie ein böser Alptraum. Man erfuhr wieder, was Kunst auch und vor allem sein kann: Eine Rettung der eigenen Persönlichkeit vor den Anmaßungen einer politischen Gewalt. Eine Rettung, die sich auch anderen Bedrängten mitzuteilen vermag. Wer will behaupten, daß diese Funktion von Kunst, von Musik, nicht unverändert weiter gültig ist? Diese Gedanken begleiteten die Gütersloher Sofia-Gubaidulina-Tage. Das andere „sagte“ die Musik Sofia Gubaidulinas. Und die Kunst und das Engagement ihrer Interpreten. Das Niveau der Wiedergaben war hoch, die erfahrenen Künstler-Musiker übertrafen ihren gewohnten Standard noch durch eine Intensität und Inspiriertheit, die sich aus der direkten Begegnung mit der Komponistin ergeben haben mag. Von diesem spürbaren Enthusiasmu ließ sich auch das mitwirkende „Kulturorchester“, die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz animieren. Das „Offertorium“ gelang mit unglaublicher Dichte und Klangschönheit. Oleh Krysas Violinspiel vereinigte dabei Spiritualität mit feiner, drängender Expressivität. Mit dem Konzert für Viola und Orchester warteten die Musiktage auch mit einer Novität (für Deutschland) auf. Sofia Gubaidulina besitzt nach eigenen Worten eine „rätselhafte“ und zugleich „begeisterte“ Zuneigung für das „verschleierte Bratschentimbre“. Der dunkle Klang der Viola korrespondiert ideal mit Gubaidulinas Ausdrucksästhetik, einem expressiven klanglichen „Vibrieren“, das durch eine komplexe, raffinierte Intervallstruktur evoziert wird, zu der vor allem ein um einen Viertelton herabgestimmtes Streichquartett beiträgt, das gleichsam zwischen Orchesterklang und Solopart agiert. Verglichen gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft zum „Offertorium“ überrascht das Viola-Konzert durch eine ausgefeilte, fast abstrakt wirkende Klanglichkeit: der musikalische Ausdruck ist perfekt verschmolzen mit einer geschliffenen Klanggestaltung. Dieser manchen Gubaidulina-Verehrer womöglich irritierende Zug zu einem avancierten Komponieren bleibt jedoch innerhalb des ästhetischen Kanons der Komponistin, die sich energisch auch in Gütersloh gegen den Avantgardebegriff für ihre Musik verwahrte. Die blendende, klanglich subtil ausbalancierte und differenziert belichtende Interpretation durch die Solistin Veronika Hagen und das Orchester unter Andrey Boreyko verhinderte allerdings nicht, daß Gubaidulinas Bratschen-Konzert äußerst gegenwärtig und auf hohem Bewußtseinsstand operierend wirkte. Große Musik eben, erlebt in einer kleinen Stadt mit großem Ehrgeiz.

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