Die Jungen sind die Interessantesten. Dieses Resümee zum Jazzfest Berlin 2008 können freilich nur die Besucher bestätigen, die neben den großen Konzerten im Haus der Berliner Festspiele noch den Weg fanden in den Charlottenburger Club „A-Trane“. Dort spielten die Könner unter 30, etwa Niels Klein mit seinem Quartett „Firomana“, die Gruppe „Soap“ mit Magnum Coltrane Price als Gast oder das Arne Jansen Trio.
Der treibende Bass-Groove für alle drei Bands stammte aus einem einzigen Instrument, nämlich dem Kontrabass von Eva Kruse. 1998 war die damals neunzehnjährige Bassistin nach Berlin gekommen, um zu studieren. Sie ist bis heute geblieben und vertrat nun an fünf Abenden die Berliner Jazzszene auf dem Jazzfest. Diese Szene ist eine der vitalsten in Deutschland, obwohl die Fama geht, dass in Berlin die schlechtesten Gagen bundesweit gezahlt würden. Womit sicher nicht das Jazzfest gemeint ist.
Nicht nur die musikalischen Konzepte der drei genannten Bands sind interaktiv geprägt, zwischen diesen Berliner Formationen herrscht auch reger Musiker-Austausch. So spielt bei „Firomanum“, der Band von Niels Klein der außergewöhnliche Berliner Gitarrist Arne Jansen. Zusammen mit Klein konstruierte er wunderbare Sounds, Patterns und Melodien, bei denen Struktur und Improvisation nie ohne einander zu denken waren. Rock-Anleihen, an denen auch Drummer Nils Tegen nicht ganz unschuldig war, E-musikalisch klingende Klarinetten-Partien und dazu der Klein’sche-Riesen-Ton auf dem Tenorsaxophon zielten auf ein Jazzerlebnis der herausragenden Art.
Nochmals zur Zukunft des Jazz: In der nüchternen Architektur des Konzertsaales der UdK Berlin schuf das Andromeda Mega Express Orchestra unter Daniel Glatzel jazzsinfonische Klangwelten in einer ungewöhnlichen Doppelbesetzung aus Streichern und Bläsern. Seit einigen Jahren probt dieses Orchester in Berlin und geht von hier aus auf Tournee. Inzwischen ist ein Repertoire entstanden, das originell ist, authentisch, und alle Qualitäten des Jazz – wie Improvisationstalent und individuelle Tonbildung – von den Musikern einfordert. Daniel Glatzel schreibt gezielt für die Akustik eines klassischen Konzertsaals, der eine oder andere überraschte Zuhörer mochte hier sogar Anklänge einer neuartigen sinfonischen Musik hören.
Zurück in die Gegenwart: Auch im gediegenen Ambiente des Hauses der Berliner Festspiele hatte der für drei Jahre zum künstlerischen Leiter des Jazzfestes Berlin berufene Nils Landgren frappierende Jazzereignisse programmiert. Der schwedische Posaunist, der auch Co-Leiter der NDR-Bigband ist und als Professor in Hamburg lehrt, entkräftete mit dem diesjährigen Programm sämtliche Befürchtungen, dass in Berlin skandinavische Seilschaften, NDR-Big Band-Familientreffen oder Party-Jazz à la Landgrens Funkjazz-Kapelle „Funk Unit“ überhand nähmen. Nicht Neuentdeckung und Experiment hieß sein Credo, sondern Qualität.
Richard Galliano hatte für sein aktuelles Quartett den kubanischen Pianisten Gonzalo Rubalcaba verpflichtet. Wie dessen herbe Abstraktheit auf Gallianos empfindsame Musik prallte, das allein war schon eine Reise nach Berlin wert. Wenn man bei den Klassikern bleiben will: Bobo Stenson, Anders Jormin und dem jungen, hochbegabten schwedischen Drummer Jon Fält gelang im Haus der Berliner Festspiele eine Sternstunde des modernen Klaviertrios – übergangslose Übergänge verbanden Einzelleistungen mit traumwandlerisch sicherem Ensemblespiel, das durch große Bögen und dramatische Steigerungen bestach. Eine Klangkultur, wie man sie von klassischen Ensembles kennt, war Teil des Konzepts.
Lyna Nybergs Quintett „Pling“ – ebenfalls mit Jon Fält am Schlagzeug – fühlt sich der unterhaltenden Seite des Jazz verpflichtet, und dies auf hohem Niveau. Schauspielerin, schräge Chansonette, Rock-Girlie und Jazz-Vokalistin: Nybergs Jazz-Show schmückte das Festival. Dagegen hatten es bewährte Konzepte – Jazzmusiker treffen afrikanische Trommler – wie das des Tenoristen Alan Skidmore schwerer. Es kann hier nur über einen Bruchteil der Konzerte berichtet werden, doch auch dieser Ausschnitt mag verdeutlichen: Die nächsten beiden Jahre mit Nils Landgren als Leiter werden nicht langweilig werden.