Hauptrubrik
Banner Full-Size

Nachschub

Untertitel
Kinderzimmer Produktionen
Publikationsdatum
Body

Zwar altern die Heroen, aber Pop als Genre ist jung. Deshalb ist Pop Revolte, Widerstand gegen die Definitionen, die man immer schon vorfindet, Aversion gegen die Artefakte der Älteren. Jungsein heißt, dass die Erfahrungen und Einsichten der anderen nicht die eigenen sein können. Das Labor des Neuen ist das Kinderzimmer; dort geht es vital und chaotisch zu.
Dass sich Deutschlands derzeit beste HipHop-Posse „Kinderzimmer Productions“ nennt, ist folglich nur konsequent – und zeugt von einem Witz und einer Selbstreflexion, die dem fundamentalistischeren Nachwuchs, der Fehler und Defizite für eine Sache der Erwachsenen hält, meist fehlen. Bei KP ist das Bewusstsein wach, dass Koordinaten und Kategorien relativ sind, gewissermaßen Ansichtssache. „Wir sind da wo oben ist“ (so auch der Titel ihres Virgin-Albums) zitiert die üblichen eitlen Rap-Gesten nur und führt sie durch tautologische Reime ad absurdum: „es ist nicht gerade, wenn es gebogen ist/es ist nicht wo es war wenn es verschoben ist“. Den dogmatischen „Street“-Anspruch „Keep it real“ begegnen sie mit einer fast schon dekonstruktivistischen Kühle und Coolness, die „Realität“ genauso in Frage stellt wie „Wahrheit“. Das Feste verflüssigen, könnte die geheime KP-Devise lauten: das ist das Wesen ihres „Flows“, der deshalb so wunderbar und suggestiv ist, weil er die Katarakte und Brüche nicht scheut. Dort, wo ansonsten meist böse Selbstgewissheit herrscht, schaffen bei ihnen Definitionen Distanz: „reiner neid ist das schlechte das ich über euch sage“. Und während der HipHop oft Hierarchien, mehr oder weniger unbewusst, bestätigt, verpasst einem „Textor“ Henrik von Holtum einen Schnellkurs in Soziologie: „abhängigkeit heißt um erlaubnis bitten müssen.“

Zwar altern die Heroen, aber Pop als Genre ist jung. Deshalb ist Pop Revolte, Widerstand gegen die Definitionen, die man immer schon vorfindet, Aversion gegen die Artefakte der Älteren. Jungsein heißt, dass die Erfahrungen und Einsichten der anderen nicht die eigenen sein können. Das Labor des Neuen ist das Kinderzimmer; dort geht es vital und chaotisch zu.Dass sich Deutschlands derzeit beste HipHop-Posse „Kinderzimmer Productions“ nennt, ist folglich nur konsequent – und zeugt von einem Witz und einer Selbstreflexion, die dem fundamentalistischeren Nachwuchs, der Fehler und Defizite für eine Sache der Erwachsenen hält, meist fehlen. Bei KP ist das Bewusstsein wach, dass Koordinaten und Kategorien relativ sind, gewissermaßen Ansichtssache. „Wir sind da wo oben ist“ (so auch der Titel ihres Virgin-Albums) zitiert die üblichen eitlen Rap-Gesten nur und führt sie durch tautologische Reime ad absurdum: „es ist nicht gerade, wenn es gebogen ist/es ist nicht wo es war wenn es verschoben ist“. Den dogmatischen „Street“-Anspruch „Keep it real“ begegnen sie mit einer fast schon dekonstruktivistischen Kühle und Coolness, die „Realität“ genauso in Frage stellt wie „Wahrheit“. Das Feste verflüssigen, könnte die geheime KP-Devise lauten: das ist das Wesen ihres „Flows“, der deshalb so wunderbar und suggestiv ist, weil er die Katarakte und Brüche nicht scheut. Dort, wo ansonsten meist böse Selbstgewissheit herrscht, schaffen bei ihnen Definitionen Distanz: „reiner neid ist das schlechte das ich über euch sage“. Und während der HipHop oft Hierarchien, mehr oder weniger unbewusst, bestätigt, verpasst einem „Textor“ Henrik von Holtum einen Schnellkurs in Soziologie: „abhängigkeit heißt um erlaubnis bitten müssen.“ KP ist aber kein rein reines aufklärerisch-anarchisches Posing-Programm der etwas anderen Art, sondern vor allem erstaunlich eigenständige Musik, so etwas wie autochthoner HipHop, die Neuerfindung einer rätselhaften und hinreißenden Musik aus dem Geist des Archivs. Ein Trommeln, das genauso wüst wie sophisticated ist, hält alles zusammen und darüber, darunter und daneben gibt es virtuose Collagen von Kulturbetriebs-„Abfall“, die beweisen, dass der beste und befeuertste Neuanfang oft Recycling, Resteverwertung ist.

Bei KP ist das Kinderzimmer vor allem Werkstatt: das Alte wird zerlegt und neu zusammengebaut – das, was die Erwachsenen Wirklichkeit nennen, samt ihren Werten, Normen und Vorschriften erscheint so als Konstrukt und KP ersinnen virtuose Blaupausen für eine befreiende Re-Montage. In Alanis Morissettes Kinderzimmer dagegen geht es hochdramatisch zu: bei ihr verdichtet sich der juvenile Weltschmerz zu einer großen Beschwerde. Dass die Welt so ist, wie sie ist, hält sie in erster Linie für ein moralisches Defizit – und zwar der Eltern und der Männer. Wo die Rapper aus U-Stadt (Ulm) subversiv sind, da ist die Rockerin aus Kanada, die bei ihren Live-Auftritten oft wie eine Jeanne d’Arc auf Acid wirkt, vor allem selbstgerecht. In ihrem feministischen Furor hält sie ihren eigenen begrenzten Blickwinkel gern für die Zentral-Perspektive, von der aus alles so beschrieben und besungen werden kann, wie es ist. Pamphlet und Predigt gehen da ineinander über. Potenzielle Liebhaber werden einem ausführlichen Gretchen-Test unterworfen („21 things I want in a lover“), den sie selbst sicher empört zurückweisen würde. „Narcissus“ ist immer der andere. Die reformierte Geschlechterbeziehung, von der sie träumt, wäre eine, in der Mann in die Pflicht genommen wird: „You’ve never really had to suffer any consequence“ ist bei ihr als böser Vorwurf gemeint. In Alanis‘ engagierter Lyrik verwandelt sich das altbekannte Spießer-Idyll in ein Paradies der political correctness. Und das Wunder bei all dem: dass der dröge Madonna-Klon aus dem „Maverick“-Stall, der einst von seinem Debüt „Jagged Little Pill“ fast 30 Millionen Einheiten verkaufte, nach vorübergehender Formkrise auch auf dem neuen dritten Album „Under Rug Swept“ (bei WEA) hin- und mitreißend losrockt. Junge Frauen mutieren zur letzten Chance eines altgewordenen Genres.

Eine andere Kinderzimmer-Spielart bietet die Liverpooler Kritiker-Lieblingsband Clinic auf ihrem zweiten Album „Walking With Thee“ (Domino/Zomba): eine leicht verschrobene Second-hand-Authentizität, die sich des vorgefundenen Sound-Materials nicht auf eine gelehrt-zitierende, sondern eher auf eine wüst-aneignende Weise bedient. Verglichen mit dem gefeierten Debüt „Internal Wrangler“ sind die Clinic’schen Klang-Kosmen diesmal freilich beinahe reduziert und asketisch: an die Stelle klaustrophobisch-überdrehten Pomps treten dichte, schlagzeuggetriebene, oft schon nah an den Dancefloor heranrückende Songs: die Panik bleibt spürbar, wird durch den klaren Minimalismus eher noch intensiviert; die spröden Jazz-Klänge verschwinden fast oder rutschen als pure Nervosität in den gehetzt-urbanen Vortrag. Was bleibt, sind die erlösenden Orgel-Sounds, genauer: eine Melodica, die ein wenig an die Dub-Reggae-Ikone Augusto Pablo erinnert.

In raren Momenten wird das Kinderzimmer zur Bühne der Welt: die „Großen“ werden nachgeahmt, bis sie kenntlich werden und die begabten Mimetiker ein bisschen mehr über sich und die Welt wissen. Gomez etwa waren in ihrem kurzen Pop-Leben schon fast alles: mal Nirvana, dann doch wieder Pearl Jam und am allerliebsten die Alten Meister, von Jimi Hendrix und Tim Buckley bis zu Tom Waits und Marvin Gaye. Als Spezialisten für strange Americana wurden sie Brit-Pop-Award-Lieblinge. Auf ihrem dritten Album „In Our Gun“ (bei Virgin) rumpelt es wieder so heftig, dass das Unterste nach oben gekehrt wird und sich die Stimmen der drei (!) Sänger über die brüchige Mischung aus Blues, Sixties-Soul und Seventies-Funk, Psychedelia und Hardrock legen können.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!