Die Erfindung des Rock’n’Roll war ein Kompromiss und ein Notbehelf: Die Musik der Schwarzen war in den frühen 50er-Jahren einfach besser, aufregender, „sexier“ – aber sie war „misfit“, nicht gesellschaftsfähig. Sie blieb beschränkt aufs Ghetto, auf die eigene Ethnie, kurz: „race music“. Wenn der R’n’B eine Chance bei den weißen Mittelstands-Kids haben wollte, dann musste er zuvor weiß (gewaschen) werden. Spätestens bei Elvis wurde die Rebellion intim und privat: nicht mehr Rassen- oder Klassenkampf, sondern nur noch „teenage riot“, sexuelle Revolution aus dem Geist der Nach-Pubertät.
Die Erfindung des Rock’n’Roll war ein Kompromiss und ein Notbehelf: Die Musik der Schwarzen war in den frühen 50er-Jahren einfach besser, aufregender, „sexier“ – aber sie war „misfit“, nicht gesellschaftsfähig. Sie blieb beschränkt aufs Ghetto, auf die eigene Ethnie, kurz: „race music“. Wenn der R’n’B eine Chance bei den weißen Mittelstands-Kids haben wollte, dann musste er zuvor weiß (gewaschen) werden. Spätestens bei Elvis wurde die Rebellion intim und privat: nicht mehr Rassen- oder Klassenkampf, sondern nur noch „teenage riot“, sexuelle Revolution aus dem Geist der Nach-Pubertät. Jetzt ist (scheinbar) alles anders: die Einflüsse gehen kreuz und quer; es herrscht das Prinzip einer fröhlichen Vermischung. Die arbeitslosen schwarzen Kids in den Motor Cities des Mittleren Westens orientieren sich an der Kraut-Elektronik der 70er-Jahre und werden „afro-germanic“. Und die Pop-Charts haben sich längst dem Regime des „black is beautiful“ ergeben. Das heißt aber nicht, dass sich im Bann der musikalischen Globalisierung und einer medien- und computergestützten Selbstbedienung im universalen Archiv alle Identitäten und Traditionen aufgelöst hätten.The Notwist aus Weilheim/Oberbayern etwa, das derzeit vermutlich hippeste und subversivste Pop-Projekt hier zu Lande, bastelt seine suggestiven Songs aus einer Vielzahl disparater Elemente; jeder Einfluss wird erprobt und ist recht; natürlich ist auch die Erinnerung der Acher-Brüder schwarz. Was auf dem Vorgänger „Shrink“ der Jazz war, ist jetzt, auf dem neuen, fünften Notwist-Album „Neon Golden“ (City Slang/Virgin Labels), versteckt und vertrackt, der Blues. Und doch ist ihr Pop, der etwas Paradoxes will – die Popularisierung des Peripheren, das Extreme, ganz Eigene als Mainstream – unverkennbar weiß. Vielleicht weil ihre Vor-Bilder in ihrer wüsten Gitarren-Phase die Roh-Metal-Wüstlinge von Motörhead und der Transgression-Punk der Wipers und später dann, im Übergang zur Elektronik- und Frickel-Phase die anämisch-spacigen Tüftler von Talk Talk waren. Vermutlich noch mehr, weil das Prinzip ihrer Arbeit bei allem perkussiven Raffinement und ungeachtet eines dunkel-hypnotischen Flows konstruktiv ist, Schicht-Arbeit: Sammeln, Prüfen, Weiterverwerten, Überlagern und Löschen.
Hinzu kommen die Acher-Texte, die nicht von Sex und Revolte handeln, die nicht physisch sind, Vitalitäts-Überschuss, der nicht weiß wohin mit seiner Kraft und seiner Bedürftigkeit, sondern die reflexiv und referenziell daherkommen, als verrätselte Flaschenpost aus dem Labyrinth der Existenz. Im Notwist-Pop ist das Subjekt vom Verschwinden bedroht: „I’m not in this movie, I’m not in this song.“ In der herrschenden Geschichte hat es keinen Platz; die neue zeigt sich noch nicht; oder höchstens in einer Fülle von abbrechenden, sich ergänzenden, verästelnden, unentwirrbaren Gegen-Geschichten.
The Notwist ist nicht das ganze Leben der Acher-Brüder, daneben gibt es, nur unter anderem, Village of Savoonga, das Tied and Tickled Trio und Lali Puna oder, vermittelt durch den Notwist-Elektroniker Martin Gretschmann, Console, avancierte Hörpiele und, mit der Väter-Generation, Dixieland-Sessions oder, mit den Müttern, Intimes auf dem Hackbrett. Nicht zufällig heißt das Label, das den Landsberg-Weilheimer Kosmos vertritt, Hausmusik. Dieses Universum ist offen, unendlich, unabgeschlossen und unübersehbar weiß.
Noch „heller“ als der Notwist-Pop sind klassische Genres wie Folk und Country. Von Hazeldine ist jetzt endlich ein legendäres und verschollenes Album auch in Europa offiziell zu haben: „Orphans“ (bei Glitterhouse), eigentlich schon 1998 produziert, aber rasch im Niemandsland von Label-Streitigkeiten verschollen, bietet zehn wunderbare Cover-Versionen, von Thin Lizzys wüst-irischem Kneipen-Stomp „Whiskey in the Jar“ bis zu Gram Parsons herzzerreißendem „Song For You“, der den wehmütigsten Traum aller Lebenden und Liebenden beschwört: „And tomorrow we will still be here“. Mit auf dem Album: Zerbrechliches von Sparklehorse („Heart of Darkness“), Radioheads „Lucky“ und sogar, recht akzeptabel, „Cuckoo Cocoon“ vom Genesis-70er-Jahre-Konzeptalbum „Lamb Lies Down On Broadway“.
Ebenfalls sehr weiß, sehr melancholisch und so unentbehrlich wie The Notwist und Hazeldine: Das neue Walkabouts-Album „Ended Up A Stranger“ (Glitterhouse), mitproduziert von Larry Crane, der auch bei den jüngsten Go-Betweens und Sleater-Kinney-Alben seine Hände im Spiel hatte. Ein Patchwork von Einflüssen (bis hin zu, erstaunlicherweise, wiederum Talk Talk), Mikro-Musik aus verschollenen Ereignissen, aus Erinnerungsfetzen, aus Vergangenheits-Rekonstruktion, eine „absichtlich eklektische Sammlung von Songs“, wie Walkabouts-Alpha-Tier Chris Eckman selbst meint – und doch sehr eigen und eingängig, voluminöser in den Arrangements, gelegentlich fast Folk-Opernhaft.
Nach so viel „Weißem“ etwas Tiefschwarzes: das neue, wunderbare Cypress-Hill-Album „Stoned Raiders“ (Columbia/Sony), das sich vom smooth-gemeinen Gangsta-Rap-Flow à la Ice Cube genauso unterscheidet wie von der harten Edutainment-HipHop-Tradition der Ostküste. „Stoned Raiders“ gelingt ein Paradox: Archiv-Arbeit, die authentisch wirkt; ein Montage- und Sample-Werk von unbezweifelbarem Fluss. „Here Is Something You Can’t Understand“ heißt der „Ender“ dieses Albums – aber das ist so nicht richtig. Auch Gegen-Geschichten lassen sich entziffern, auch andere Referenzen folgen einem Kode, „Alterität“, wie es heutzutage so schön heißt, ist Wille, nicht Schicksal.