Am Ende schloss sich der Kreis. Zum Finale des Jazzfestivals Saalfelden entführte uns die „Hot 9“ um den Trompeter Steven Bernstein und den furiosen blinden Pianisten Henry Butler ins Mississippi-Delta und phasenweise auch in eine Zeit, in der der Jazz seine Geburtsstunden in New Orleans erlebte. Weil diese verdammt heiße Truppe einerseits ganz entfesselt mit historischer Authentizität spielte und dabei die musikalische Gegenwart nicht verleugnete, wurde sie zu Recht mit Ovationen bedacht.
Ja, Jazz ist ein weites Feld, eine ergebnisoffene Musik, eine schon über hundert Jahre währende Versuchsanordnung mit teilweise verblüffenden Ergebnissen. Viele der Bands und Künstler, die die Intendanten Michaela Mayer und Mario Steidl zum nun schon 37. Jazzfestival Saalfelden ins Salzburger Land – genauer gesagt ins Pinzgau einluden – schienen zunächst stilistisch nichts oder wenig miteinander zu tun zu haben.
Doch wenn man die Veranstaltungen, die im Congress, im Nexus („ShortCuts“), auf der City Stage und auf der Alm über die Bühne gingen, zusammenfasst und mit etwas Abstand betrachtet, zeigt sich, wie klar sich Verbindungslinien dann doch abzeichnen. Was die vielen so unterschiedlichen Acts näher zusammenbringt, ist diese gemeinsame oder ähnliche Haltung, dieser unbedingte Expansionswille, dieser mal eindeutige, mal dezent angedeutete, dieser manchmal okkulte Swing.
Für den grandiosen Auftakt im Hauptprogramm sorgte die österreichische Gruppe „Shake Stew“ um den Bassisten Lukas Kranzelbinder, der in seiner Auftragskomposition den Geist der wilden 60er-Jahre beschwor und aus heutiger Perspektive, aus heutigem Erkenntnisstand feierte. Eine schlüssige Annährung von Damals und Heute war das.
Rockmusik ist schon seit gut fünf Dekaden ein Katalysator für den Jazz. Die norwegische Band „Krokofant“ machte mit ihrem Speed-Metal-Crossover Spaß, änderte aber leider nie wirklich die Gangart. Sehr viel differenzierter ging da schon der kalifornische Trompeter Daniel Rosenboom mit seinen „Burning Ghosts“ vor, weil er die Wucht einerseits auch mal durch ruhige Passagen durchbrach und andererseits viel Formenvielfalt zeigte. Sowohl bei der Band „Human Feel“ als auch in der hübsch-vertrackten, sehr charakterstarken Musik des österreichischen Trios „Edi Nulz“ ist Rock nur ein Element einer breiten Einflusspalette, die diese Formationen nutzen, um etwas Eigenständiges zu schaffen.
Stilistisch bunt ging es eigentlich fast immer zu in Saalfelden: ob nun im Quartett der aus der AACM-Szene stammenden Cellistin Tomeka Reid, in der stimmungsvollen Musik ihres Instrumenten-Bruders Vincent Courtois, im Allstar Quartett „Schaerer/Biondini/ Kalima/ Niggli, im Sextett des Saxophonisten Marty Ehrlich oder beim auch in kompositorischer Hinsicht umwerfenden Auftritt des Sopranisten Émile Parisien, der sein Quintett ums zwei bestens aufgelegte Legenden aufstockte: den Bassklarinettisten Michel Portal und den Pianisten Joachim Kühn.
Kuriositäten gab es auch in Saalfelden: etwa den putzigen Gig von Thomas de Pourquery, der sich „Sun Ra“ seltsam näherte oder die Gruppe „Chiri“, in der zwei australische Improvisationskünstler auf einen gebärdenreichen, vor Inbrunst fast platzenden traditionellen koreanischen Sänger trafen.
Fragen musste man sich, was die portugiesische Trompeterin Susana Santos Silva ausgerechnet mit ihrem zaghaften, sehr konventionellen Free Jazz in Saalfelden zu suchen hatte. Die Frau kann in anderen Projekten auch anders. Ihr Konzert gehörte jedenfalls zu den wenigen echten Enttäuschungen des Festivals, das auch mit dieser Ausgabe zeigte, dass es in Europa immer noch als bester Gradmesser für den Status Quo des kreativen Jazz gelten darf.