Regime-Wechsel: Wo eben noch die weitgehend anonymen oder jedenfalls ständig ihre Identität wechselnden Sound-Architekten fast unbestritten das Terrain beherrschten, brechen jetzt die Songwriter-Individuen mit ihren angeblich unverwechselbaren Geschichten in die Techno-Universen ein. Eine Revolution im Lande Pop? Ja, aber eine verwirrende. Denn alles bleibt anders.
Regime-Wechsel: Wo eben noch die weitgehend anonymen oder jedenfalls ständig ihre Identität wechselnden Sound-Architekten fast unbestritten das Terrain beherrschten, brechen jetzt die Songwriter-Individuen mit ihren angeblich unverwechselbaren Geschichten in die Techno-Universen ein. Eine Revolution im Lande Pop? Ja, aber eine verwirrende. Denn alles bleibt anders.Das Leben des Ryan sorgt für Aufregung! Der etwas andere Adams beschäftigt nicht nur die Ohren und Herzen, sondern auch die PC-Tastaturen. Die Journalisten scheinen in dem „Heartbreaker“ und „Gold“-Kind (so die Titel der ersten beiden Alben) die definitive Story zu entdecken. Für die geplagten Plattenbosse avanciert er zum Retter der Bilanzen. Aber: Ist Ryan Adams wirklich neu? Macht er tatsächlich alles anders? Nein, eher schon ist er ein rückwärtsgewandter Prophet, der Wiedergänger einer großen Vergangenheit, der aus seiner riesigen Plattensammlung vertraute Identitäten herauskramt und sie anprobiert, freilich so, dass das eigene Ego nicht völlig verschwindet. Mit einem virtuosen Da capo verspricht er das Unerhörte. Der neue Dylan? Auch. Aber das kann er nicht mehr hören. Denn er will nicht einer, er will alle sein. Wo Avantgardisten vor ihm den widerborstigen Igel hervorkehrten und stachelbewehrt immer nur sie selbst waren, ist er ein freundlich-vielgesichtiger Hase, der sich alles schnappt und immer als erster im Ziel ist. Ryan Adams hat keine Angst vor Brüchen und keine vor Masken. Zur Not kann er auch „Sylvia Plath“ sein, der er einen Song gewidmet hat; oder zumindest von einer Frau träumen, die alles in sich vereint: Sex und Klugheit, Verzweiflung und Überschwang.Aber Ryan Adams ist natürlich kein Recycler – und schon gar kein Epigone. Sein Anspruch ist maßlos-bescheiden: er will so etwas wie der Sprecher seiner Generation werden, eine Aufgabe, vor der Kurt Cobain noch bis zum Suizid zurückschreckte; nicht als Teenage-Rebell freilich (er ist 27!), der alle Vorgaben der Erwachsenen wegwischt, weil nur so das eigene Leben möglich scheint, sondern als Instant-Klassiker, der schon, während er einen Song auf Serviette notiert, in Kategorien der Kulturgeschichte denkt: „Ein Shakespeare-Stück, der Prometheus-Mythos, alle suchen doch nur nach neuen Varianten, um die gleiche Geschichte zu erzählen“, diktierte er dem Rolling Stone. Und er lässt keinen Zweifel, wie Shakespeare und Prometheus heute aussehen.
Während Ryan Adams, der Schaffenswut verfallen wie andere Schmerzensmänner vor ihm, drei, vier Stunden live spielen will, bis alle Songs gespielt sind und der letzte Rest an Traurigkeit verdampft ist – und natürlich fallen ihm selbst Bruce Springsteen oder Grateful Dead dazu ein – müssen die Strokes mit ihrem guten Dutzend Kürzest-Liedern das Plateau der Euphorie rascher und jäher erreichen.
Das Leben des Ryan und das Leben der Strokes – das scheinen die beiden Möglichkeiten zu sein, um die herum eine neue, mal rüde, mal zart-melancholische, aber stets erfahrungsgesättigte Rock- und Pop-Musik entsteht, die Sounds durchaus nicht verschmäht, aber auf den Song, die große, bleibende und erlösende Geschichte hinaus will. Und mögen die Identitäten noch so schillern und überall, durchaus gewollt, die Vor-Bilder durchschimmern: es geht um das Unverwechselbare, auch wenn es nur für einen Augenblick gilt und süchtig nach der Metamorphose, dem Gestaltwechsel ist. Das Klang-Kollektiv, das noch die letzten Spuren einer (ver-)störenden Existenz löscht, scheint einstweilen passee.
Kaum ist Ryan Adams da, schon wirkt er traditionsbildend. Und es spielt dabei kaum eine Rolle, dass manche der Musiker, die von seinem Erfolg profitieren, länger im Geschäft sind als er selbst. Das momentan beste Beispiel, das stellvertretend für viele stehen soll: Josh Rouse. Der wurde bereits für sein 98er-Debüt „Dressed Up Like Nebraska“ viel gelobt, blieb aber Geheimtipp, genauer: „musician’s musician“ und Liebling der Archivare, die von dem Moment an, wo etwas Neues erscheint, an die Ewigkeit denken und es für die Nachwelt katalogisieren. Lambchops Kurt Wagner fand Josh Rouse, mit dem er zusammenarbeitete, „sublim“; auch Michael Timmins von den Cowboy Junkies outete sich als Fan – da werden, im nachhinein, untergründige Ryan Adams-Filiationen sichtbar. Dann produzierte Josh Rouse „Home“, ein schönes Album, so eingängig, dass es fast wie ein Entree in die Vergessenheit wirkte. Aber jetzt, mit „Under Cold Blue Stars“ (Ryko/Zomba), erscheint er plötzlich als „next big thing“ einer erzählenden Pop-Musik. Wo freilich Singer-Songwriter früher, selbst wenn sie nur Aufgeschnapptes wiedergaben oder die vermischten Nachrichten von Provinzzeitungen weiterfantasierten, auf „Authentizität“ beharrten, da verwandelt Josh Rouse seine ureigenen Geschichten in ferne Erfahrungen. Eine 50er-Jahre-Familie tritt auf, die seine ureigensten Wünsche, Konflikte, Depressionen ausagiert. Josh Rouse inszeniert einen Familienroman, der zu einem Sample von betörenden Songs gerinnt, die man unter dem Titel Strindberg in Nebraska zusammenfassen könnte – nur dass die vertraute Hysterie hier sehr cool, sehr blue daherkommt, nicht explosiv-überdreht, sondern eher melancholisch. Die neuen Song-Heroen des Ryan-Adams-Typs setzen sich Masken auf und plötzlich wird eine verschollene, verwirrende Welt sichtbar.