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Die Leipziger Jazztage werden alljährlich vom jazzclub leipzig e.V. veranstaltet, wobei die Fäden beim Künstlerischen Leiter Bert Noglik, dem Vorsitzenden Axel Graneist und dem Geschäftsführer Andreas Roder zusam- menlaufen. Über das wohl bedeutendste Jazz-Festival im Osten Deutschlands sprach Barbara Lieberwirth mit Bert Noglik.
: Welchen Stellenwert räumst du den Leipziger Jazztagen in der deutschen Jazz-Festival-Landschaft ein?: Es ist hochwahrscheinlich das bedeutendste im Osten Deutschlands, was den zeitgenössischen Jazz anbelangt. Es ist gelungen, das Festival innerhalb der letzten zehn Jahre so zu profilieren, dass es überregionales Interesse hervorruft. Aber wir gestalten es zunächst einmal für die Region und speziell für die Stadt Leipzig. Die Zeiten, in denen mit einem großen Reisepublikum gerechnet werden konnte, sind vorbei. Es war DDR-spezifisch, dass die Leipziger Jazztage aus allen Bezirken der DDR besucht worden sind. : Was unterscheidet das Leipziger von anderen Jazz-Festivals?
: Die Besonderheit eines Festivals entsteht aus mehreren Faktoren: aus der Geschichte, aus dem jeweiligen Publikum und aus der Programmgestaltung. Es ging und geht in Leipzig um eine tragfähige Balance unterschiedlicher Strömungen des zeitgenössischen Jazz, also von klassischer Moderne, von Stars der Jazzszene bis hin zum freien Experiment. Es geht mit Sicherheit nicht darum, nur Fertiges vorzustellen, sondern wir sind bestrebt, auch eigene Projekte zu entwickeln.
Wir picken uns nicht nur aus Tourneeangeboten fertige Programme wie aus einem Warenhauskatalog heraus. Da wäre es nur eine Frage des Preises, ein attraktives Programm zu machen. Aber wir müssen mit einem begrenzten Budget arbeiten und wollen auch eigene Projekte präsentieren. Das waren in den letzten Jahren die musikalisch-szenischen Produktionen „Survival Songs“ mit David Moss, „Jazz Japan“ und „Cape Town Traveller“ mit Abdullah Ibrahim. Zu den Highlights zählte die von uns initiierte Begegnung des Pianisten Joachim Kühn mit dem Thomanerchor. All das hat in den letzten Jahren zum Profil des Festivals beigetragen. Ein Festival sollte eine Gesamtkonzeption oder eine Gesamtkomposition sein. : 2001 gehen die Leipziger Jazztage in ihr 25. Jahr. Der Jazz hat nicht mehr die Ventil-Funktion wie zu DDR-Zeiten. Wie habt ihr euch nach der Wende entwickelt?
: Durch die grundlegende Veränderung der Verhältnisse war auch das Festival in seiner Existenz infrage gestellt. In den ersten Jahren nach 1990 gab es eine gewisse Orientierungslosigkeit innerhalb der Kulturszene und des Publikums. Allein mit dem Free-Jazz der 70er- und 80er-Jahre wäre es nicht weiter gegangen. Andererseits hatte Free-Jazz nicht nur eine Ventilfunktion, sondern aus dieser Strömung heraus sind auch wieder neue Entwicklungen gewachsen. Deren Präsentation ist nach wie vor wichtig. Aber auch die unterschiedlichen Öffnungen und Veränderungen des Jazz sollen vorgestellt werden, ebenso wie Wegbereiter, die aus der Tradition kommen. Es ging darum, im Inhaltlichen und im Organisatorischen eine Neuorientierung zu finden.
Natürlich spielen auch die kommerziellen Aspekte heute eine ganz andere Rolle. Kommerziell zu überleben, bedeutet für uns nicht, populistisch zu werden. Dennoch muss es gelingen, eine bestimmte Besucherzahl zu erreichen. Eine wichtige Frage war es auch, geeignete Räumlichkeiten zu finden. Die alte Kongresshalle war baufällig geworden und musste schließen. Wir haben dann Kontakte zu verschiedenen Institutionen gesucht und bei Udo Zimmermann, der uns die Oper zum Nulltarif zur Verfügung stellt, auch für unsere musikalischen Anliegen höchst dankenswerte Unterstützung bekommen. Die Räumlichkeiten der Oper geben dem Festival ein anderes Ambiente und zogen auch neue Publikumsschichten an. Doch es bleibt schwierig, die Oper – bedingt durch das Platzvolumen – mit Publikum zu füllen. Das bedeutet, Programme zu machen, die sich über den kleinen Kreis der Kenner hinaus auch für ein breiteres Publikum als attraktiv erweisen. Wohin wollt ihr in Zukunft?
: Wir wollen unsere mittlerweile gut erkennbare Linie weiterverfolgen. Gleichwohl wird sich ein Festival auch immer an den aktuellen Entwicklungen orientieren müssen. : Jazz hat ja traditionsgemäß nicht gerade massenwirksamen Event-Charakter. Kann man davon ausgehen, dass er immer stärker dorthin tendiert und harmoniebedürftig wird?
: Da sollte man sehr Acht geben und sich immer auch die Qualitätsfragen stellen. Gerade in einem modischen Crossover unterschiedlichster Art geht es oft um Oberflächenerscheinungen. Der Anspruch, der sich mit Jazz verbindet, ganz gleich in welche Richtung es geht, sollte nicht über Bord geworfen werden. Unüberhörbar erscheint mir eine immer stärkere Verschmelzung des Jazz mit Pop, Klassik oder Folk.
Innerhalb der letzten zehn bis zwanzig Jahre haben sich unterschiedlichste Korrespondenzen zwischen Jazz und ethnischen Kulturen ergeben. Auch die Leipziger Jazztage haben solche Entwicklungen vorgestellt. Jazz in Verbindung mit afrikanischen, orientalischen, lateinamerikanischen und asiatischen Kulturen, auch mit folkloristischen Traditionen Europas vom Balkan bis nach Norwegen. All das zeugt von einer starken Vitalität, ebenso wie das, was in den Grenzbereichen zu Rock, Funk, Fusion sowie aktueller Jugendkultur auf der einen und zur Neuen Musik auf der anderen Seite passiert. Wir versuchen auch, die für den jeweiligen Charakter der Musik entsprechenden Räumlichkeiten zu finden und sind froh, über ein Menü unterschiedlicher Veranstaltungsorte zu verfügen. Neben der Oper sind das Klubs wie die stimmungsvollen Kellergewölbe der Moritzbastei und die alternativ orientierte naTo, das Völkerschlachtdenkmal für Raum-Klang-Projekte und die innerstädtischen Kirchen. Wie finanzieren sich die Leipziger Jazztage?
Generell kann man sagen, dass es mit den Jahren nicht leichter geworden ist. Gerade in den letzten zwei Jahren mussten wir mit einem stark reduzierten Budget arbeiten. Es ist schon ein erhebliches Kunststück, unter diesen Bedingungen ein interessantes Programm zu gestalten. Die Stadt trägt das Festival nach wie vor konstant mit, aber auch Land, Kulturstiftung Sachsen und Sponsoren helfen bei der Finanzierung. Der Jazzclub Leipzig arbeitet mit einer hoch motivierten und aktiven Schar ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aufgrund dieses engagierten Kerns an Jazzfreunden gelingt es, für die Musiker eine besonders freundliche Atmosphäre zu gestalten. Ohne diesen Kreis würde das Festival nicht so reibungslos ablaufen und hätte nicht dieses Flair.