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Notenspur Wegeleitsystem. Foto: Andreas Schmidt
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2. Notenspur-Nacht der Hausmusik in Leipzig – Ein Besuch

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Zum zweiten Mal rief die Leipziger Initiative Notenspur zur Nacht der Hausmusik am 19. November. Gastgeber und Musiker sollten sich bis zum 31. Oktober 2016 anmelden, online konnte man aus 64 verschiedenen Veranstaltungen wählen. Dabei musste man sich vorab für genau einen Ort entscheiden, das Switchen von einem Beitrag zum anderen (nach dem Prinzip Museumsnacht) war nicht vorgesehen. Das galt ausnahmslos für Alle. Beginn der Beiträge war Schlag 19.00 Uhr, das Ende offen.

Die Mischung verschiedener Generationen, den verbindenden Charakter von Hausmusik und die private, gesellige Atmosphäre stellt die Leipziger Notenspur-Initiative als Motivation für diesen organisatorischen Kraftakt dar. Im Vorfeld sah das nach einem logistischen Wirbel aus: Interessierte hatten buchstäblich die Qual der Wahl zum Beispiel zwischen „Barocker und romantischer Hausmusik (Violine, Cello, Klavier, Cembalo, Querflöte)“ im nordwestlichen Stadtteil Böhlitz-Ehrenberg und „KlangGedanken – Sommerkinder auf dem Weg ins Wir – Musikalische Lesung mit (vertonten) Gedichten von Jenny Schauerhammer“ in einer Praxis im südlichen Markleeberg. Deutlich bildet die Anzahl der Angebote aus den verschiedenen Stadtteilen zur Nacht der Hausmusik 2016 die Finanzkraft und den Bildungsstand der Messestadt nach. Die angesagten Trend- und Bildungsquartiere waren wesentlicher stärker repräsentiert als die Viertel mit einem eher speziellen Ruf.

Notenspur-Vorsitzender Werner Schneider (eigentlich ist er Physiker) besitzt ein großes Herz für die Leipziger Musikgüter, zu denen er nicht nur die großen professionellen Säulen Gewandhaus, Oper und Thomaner zählt. Er will sich ebenso einsetzen für die Bewahrung und Steigerung dessen, was in der Messe- und Universitätsstadt Leipzig die Basis für deren kulturelle Breite und Qualität ist: „Im Gegensatz zu vielen von der höfischen Kulturförderung geprägten Residenzstädten wie Wien, München oder Dresden wurde in Leipzig Kultur nicht von oben, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern gefördert und gestaltet. Das setzt sich bis heute fort.“ Und er hat – unterstützt von Elke Leinhoß – ebenso die integrierenden Aspekte wie Dialog zwischen den Generationen, Kontaktforen für Angehörige verschiedener Szenen sowie Begeisterungs- und Interessenbildung im Blick: Die ganze Facettenbreite des kulturellen Integrationspotenzials also.

Nach längerem Abwägen entschied sich der Autor dieser Zeilen zum Besuch der Veranstaltung „Nr. 04 -Wohnung: Polnische, russische und ukrainische Klassik, Romantik und Folklore“ im noch nicht ganz hypigen, inzwischen doch recht boomenden Leipziger Osten. Verheißungsvoll lautete die Ankündigung: „Es wird mit einem besonderen Programmteil an Leipzigs Partnerstadt Krakau angeknüpft, u.a. mit dem Signal des Krakauer Turmtrompeters und regionalen Liedern, die von den Gästen auch mitgesungen werden dürfen. Im Keller des Hauses wird eine Kunstaustellung (Fotografie, Malerei, Skulpturen) zu besichtigen sein.“ Das schien genau die richtige Location zwischen dem Besuch in einer „puren“ Privatwohnung oder einem Arbeitsort wie Friseursalon oder Anwaltskanzlei. Der gewählte Stadtteil sollte keiner der „luxuriösen“ sein, das Musikprogramm besondere Genres umfassen.

Der ausgewählte Schauplatz war verheißungsvoll: Eine zu dieser Jahreszeit recht düstere Straße am Lene-Voigt-Park, dem seit einigen Jahren sehr favorisierten Sommertreff, in einer gründerzeitlichen Häuserzeile. Handgeschriebene Zettel leiteten Besucher über Holztreppen in eine Altbauwohnung mit langem Flur und ohne Decke. Etwa dreißig Personen hatten sich eingefunden, also „ausgebucht“. Spannend die Ausstellung mit Gemälden von Steve Lewis, der auch im Kunstareal der Spinnerei ein Atelier unterhält, im Hinterhof prasselte ein Feuer. Dazu Gespräche zwischen Kunst-Hipstern einerseits, jungen Eltern anderseits und mehreren Kindern dazwischen, für die so ein Kulturpunkt offenbar nicht ungewöhnlich war: Das alles machte in der Herbstnacht einen unaufgeregt interessierenden und angenehm ungezwungen Eindruck.

Henrietta Mayer, die Gastgeberin, hatte jede der Anmeldungen beantwortet und blieb auch gelassen, als doch weit mehr Gäste kamen als vorgemerkt. Sie wirkte bereits bei der Ersten Nacht der Hausmusik 2015 mit, zu dem der Notenspur-Ausschuss damals bei ihr angefragt hatte. Die Frage, ob sie persönlich mit der „klassischen“ Musikszene verwoben sei, verneinte sie. Sie, von Beruf Übersetzerin und Texterin, und ihr Partner, der Künstler Bartlomiej Kiszka, veranstalten seit 2008 die Partyreihe „Slawische Nacht“, sind rundum aktiv im Einsatz für kulturelle Verschwisterungen mit polnischen, ukrainischen und anderen slawischen Gruppen in Leipzig. Wohlgemerkt gibt es keinerlei Aufwandsentschädigung, alle Unkosten von der Bewirtung bis zur Reinigung tragen die Gastgeber jeweils selbst.

Wie offen das musikalisch sein kann, zeigte sich im Laufe des Abends: Neben der „Cappella Polska“, einem Ensemble mit Trompete, Saxophon, zwei Akkordeons, Sängern und Trommel, die mit verteilten Textblättern zum Mitsingen ermunterten, gab es spontan weitere musikalische Überraschungstäter: Zwei ganz junge Gäste im Abiturientenalter machten sich mit Klavier und Gesang an Gershwin-Klassiker, auf regen Zuspruch sogar gerne mehrfach. Und am Beginn des Abends schaute auch noch Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke vorbei.

Der Besuch dieses Angebots war also ein ausgewiesener Joker, so etwas ist nicht planbar. Und er vermittelte bestens, was gemeint ist. An die möglichen Risiken auf die Bereitschaft, wildfremde Gäste in private Nischen vorzulassen, denken die Gastgeber gar nicht. Und das Projekt funktioniert vor allem auch deshalb, weil alle Besucher um der Sache willen kommen. In diesem Rahmen laufen Konventionen, Trends oder Prestigeüberlegungen, wie sie oft die Entscheidung zum Besuch von Veranstaltungen beeinflussen, ins Leere, weil es nur sehr bedingt eine Öffentlichkeitswirkung gibt. Man weiß vorher auch gar nicht, neben wem man zu stehen kommt – das ist anders als beim Abo-Konzert. Und man bekommt Impulse – zum Beispiel die Idee, doch mal bei der nächsten „Slawischen Nacht“ vorbeizuschauen... Netzwerk-Erfolge und multiplikatorische Wirkung, das gehört hier unbedingt dazu.

Auch die zweite Nacht der Hausmusik war echt kommunikationsstark und „Crossover“ im besten Sinne. Dazu gibt es einige Rekordzahlen und Plädoyers, die man auf der Website www.notenspur.de nachlesen kann. Eine Wiederholung im Herbst 2017 ist angedacht.

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