Hauptbild
Absprung in die nächste Dekade: Das Ensemble Modern unter Franck Ollu beim Jubiläumskonzert in der Alten Oper Frankfurt. Foto: Charlotte Oswald
Absprung in die nächste Dekade: Das Ensemble Modern unter Franck Ollu beim Jubiläumskonzert in der Alten Oper Frankfurt. Foto: Charlotte Oswald
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ab ins vierte Jahrzehnt

Untertitel
30 Jahre Ensemble Modern mit 6 Uraufführungen
Publikationsdatum
Body

Ein Musikkritiker erinnerte kürzlich an ein Wort des Komponisten Friedrich Goldmann über die Funktion unserer Kulturorchester in der Gegenwart: Sie seien „Wiederaufbereitungsanlagen für totes Kulturgut zu Amüsierzwecken“. Das hört sich ironisch und hübsch pointiert-spitz an, stimmt sogar in vielen Fällen, wenn man an Neujahrskonzerte, Beethovens „Neunte“ und, bei Traueranlässen, an die „Eroica“ oder Chopin denkt. Aber die Wirklichkeit sieht doch etwas freundlicher aus.

Die Moderne, vor allem die klassische Moderne, findet sich häufiger, als man gemeinhin denkt, in den Programmen der Orchester. Jüngere Dirigenten, die in kleineren Städten die Generalmusikdirektorenposition einnehmen, entwickeln Ehrgeiz in Richtung „Zeitgenossen“. Und wenn es sich um ausländische Musiker handelt, sind diese sogar bestrebt, auch die Moderne ihrer Heimatländer vorzustellen. Dadurch erscheinen viele Konzertprogramme doch erheblich abwechslungsreicher und „moderner“ als noch vor, sagen wir einmal, 30 Jahren.

Zu jener Zeit gründeten junge Musiker das Ensemble Modern. In den Jahren zuvor gehörten sie der „Jungen Deutschen Philharmonie“ an. Dort lernten sie, wie befriedigend es sein kann, wenn (junge) Musiker ihre Arbeit „mitbestimmen“ können: Wahl des Dirigenten, Wahl der Werke, mit denen man sich beschäftigen möchte, auch die Organisation des internen Betriebs. Doch die Zugehörigkeit zur Jungen Deutschen Philharmonie“ unterliegt einer Altersgrenze. Und was kommt danach? Da hatten einige der nunmehr „freigestellten“ jungen Musiker, unter ihnen der Geiger Karsten Witt (später leitete er das Wiener Konzerthaus), die Idee, ein eigenes Ensemble zu gründen, organisiert nach dem Vorbild der Jungen Deutschen Philharmonie mit Selbstbestimmung und, nicht unwichtig, Selbstverantwortung eines jeden Ensemblemitglieds für das Unternehmen „Ensemble Modern“. Alles andere ist bekannt. In den drei Jahrzehnten seit der Gründung avancierte das Ensemble Modern trotz mancher finanzieller Schwierigkeiten zu einem Spitzen-Ensemble der Neuen Musik, vergleichbar nur dem von Pierre Boulez gegründeten Ensemble intercontemporain im Pariser IRCAM.

Im Sommer werden sie wieder bei den Salzburger Festspielen mit Lui­gi Nonos „Prometeo“ auftreten, wie schon einmal 1993, als die Musiker des Ensemble Modern mit dem Dirigenten Ingo Metzmacher für das Werk einen kaum erwarteten Riesenerfolg erzielten. Nicht nur Freunde Neuer Musik und junge neugierige Leute kamen in die Kollegienkirche; auch das sonst als konservativ geltende Festspielpublikum drängte herbei und zeigte sich tief beeindruckt: In der Bewunderung für die beteiligten Künstler rangierten die Ensemble-Modern-Musiker fast noch vor den Wiener Philharmonikern – die allerdings im Vorjahr, ebenfalls unter Metzmacher, bei Nonos „Al gran sole“ demonstrierten, dass sie lernfähig sein können.

Das Ensemble Modern als die Wiener Philharmoniker der Avantgarde? Die Musiker aus der Frankfurter Schwedlerstraße, dem Stammquartier des Ensembles in einer alten Fabrik, brauchen keine Vergleiche. Sie sind „wer“ aus eigener Kraft, Ausdauer, Phantasie und hohem technischen Können. Ihre Dreißig-Jahre-Geschichte ist trotz mancherlei Schwierigkeiten bei der finanziellen Existenzsicherung eine einzige Erfolgsstory. Warum das so ist, wurde oft genug beschrieben. Inzwischen greift die Arbeit des Ensemble Modern aber auch weit über die einstigen Grenzen – die Erarbeitung und Präsentation neuer, oft schwieriger Kompositionen – hinaus. An der Ensemble Modern Academy erhalten junge Musiker und Komponisten entscheidende Förderung für die eigene Karriere. Aus der Academy rekrutiert sich zum Teil das Ensemble Modern Orchestra, eine große Orches­terformation zur kompetenten Darstellung wichtiger orchestraler Werke der Moderne. Diese Erweiterung des „Ensembles“ zum großen Orchester ist deshalb so wichtig, weil die anderen Kulturorchester im normalen Konzertbetrieb oft nicht die Probenzeit haben, um schwierige Werke mit der gebotenen Sorgfalt und Präzision zu realisieren. Man könnte natürlich auch, leicht ironisch, anmerken, wie aus der einsti­gen Konzentration auf die kleinere Ensemble-Formation, die vor allem von Komponisten geschätzt wurde, wieder der Drang zum großen Orchester entstanden ist. Wobei, Donaueschingen be­weist es Jahr für Jahr, viele Komponisten überfordert erscheinen, mit ihren Arbeiten die „Großform Orchester“ adäquat auszufüllen. Die Konzentration des jeweiligen Materials auf ein „Ensemble“ würde eher eine größere Verdich­tung des Komponierten erbringen.

Inzwischen hat das Ensemble auch die Zusammenarbeit mit anderen Frankfurter Institutionen erheblich verstärkt. Musikhochschule, Hessischer Rundfunk, Frankfurter Oper schließen sich immer stärker mit dem Ensemble zu gemeinsamen Projekten zusammen. Im Spätherbst dieses Jahres wird es in Frankfurt ein großes Festival Neuer Musik geben, unter wesentlicher Beteiligung des Ensemble Modern. Wie sehr inzwischen das Ensemble nicht nur institutionell, sondern auch in der Stadt selbst und deren Musik-Bürgertum verankert ist, konnte man eindrucksvoll beim Jubiläumskonzert in der Alten Oper Frankfurt erleben. Aus den fünfzig Zuhörern der frühen Jahre ist inzwischen ein ausverkaufter Saal geworden. Wie es sich für den eigenen Ruf gehört, bot das Festkonzert nur Uraufführungen, sechs an der Zahl, von sechs Komponisten, die dem Ensemble eng verbunden sind, eigens zum Anlass geschrieben. Thema frei. Johannes Schöllhorn „erleuchtet“ in seiner Ensemble-Komposition „Dias, koloriert“ drei kontrastierende Kontrapunkte aus Bachs „Kunst der Fuge“. Die Vorlagen werden sensibel in durchbrochene Linien und eine feine moderne Klanglichkeit überführt, die zugleich aber auch den Blick zurück nicht verstellt.
Eine doppelte Projektion sozusagen – von zurück nach vorn und wieder zurück. Solche Vergewisserungen einer lebendigen Musikgeschichte finden sich immer wieder in der neuen Musik. Der junge Miroslav Srnka belebte in „Assembly“ das Genre der „Maschinenmusik“ auf hochdifferenzierte und komplexe Manier. Rasende Repetitionsfiguren, die albtraumartig in tiefenpsychologische Dimensionen vordringen.

Wolfgang Rihms Ensemblestück „Will Sound More“ setzt das frühere „Will Sound“ energiegeladen fort, eine Art „Aufstand der Klänge“, bei dem Klangräume und Energieströme entstehen. Ein ungemein dicht komponiertes Stück, glänzend dargestellt von den Ensemble-Modern-Musikern unter Franck Ollu. Der irische Komponist David Fennessy kombiniert in „La Rejouissance/La Paix“ diverse Klang-Eindrücke von außen und innen, ein Feuerwerk inklusive Händel-Anspielung und ruhige Klänge eines Alvin Lucier. Der barocke Gestus, der das Programm durchzieht, findet sich auch in Anthony Cheungs „vis-à-vis“-Stück für Ensemble. Ein Concerto grosso mit zahlreichen aktuellen medialen Techniken, die dem festlichen Ausdruck einen zusätzlichen Glitzerglanz verleihen. Und schließlich noch das „Große Solo“: Vassos Nicolaou aus Zypern schrieb für Johannes Schwarz vom Ensemble Modern das Werk „Vertices“ (Richtungen, die zusammenlaufen) für Fagott solo und Live-Elektronik. Johannes Schwarz, Super-Erfinder neuer Fagott-Spieltechniken, realisierte mit Unterstützung der Live-Elektronik und dem Erfindungsreichtum des Komponisten ein virtuoses Kabinett-Raum-Stück für sein Instrument – einfach grandios. Stürmischer Beifall, auch immer wieder für das in Hochform agierende Ensemble Modern unter Franck Ollu in allen anderen Uraufführungen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!