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Elektra in einer Inszenierung von Patrice Chéreau. Foto: © Monika Rittershaus
Elektra in einer Inszenierung von Patrice Chéreau. Foto: © Monika Rittershaus
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Abschied von Patrice Chéreau – „Elektra“ als Opernereignis an der Berliner Staatsoper

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Die jüngste Premiere der Staatsoper wurde – mit viertelstündien Ovationen am Ende zum bislang größten Opernerfolg der Ära Flimm. Geprobt hatte sie der vor einem Jahr verstorbene Patrice Chéreau an der Berliner Staatsoper, bevor „Elektra“ 2013 in Aix-en-Provence herauskam und anschließend an drei Opernmetropolen auf dem Spielplan stand, bevor sie nunmehr endlich in Berlin zu sehen ist.

Der Abend begann mit einer Ansprache des Hausherrn, der die Berliner Erstaufführung der internationalen Koproduktion dem „besten Regisseur der Welt“ zum Gedenken widmete: „wir legen alles, was wir wollen und was wir können ihm zu Füßen“.

Das war nicht zu hoch gepokert. Denn in der Tat ist diese Produktion ein hochkarätiges Sängerfest in szenisch intensiver Hochspannung, mit einem bei aller gewaltigen Dramatik und lautstarken Verve von der Staatskapelle fein ziselierten Klang.

Vieles an Chéreaus letzter Inszenierung (die seine langjährigen Regieassistenten Vincent Huguet und Peter McClintock wiedereinstudiert haben) erinnert noch einmal an seine herausragende Großtat, den zunächst heftig umkämpften Bayreuther „Jahrhundert-Ring“. Wie damals, so hat auch hier Richard Peduzzi den funktionalen Bühnenraum geschaffen, mit verschlossenem Schiebetor auf der linken Seite, niedrigen Eingängen fürs Personal auf der rechten Seite und zentralen Querstufen zum unscheinbar in eine gewaltige Apsis eingefügten Hintereingang zum Hof von Aegisth und Klytämnestra. Die hatten Klytämnestra Gatten Agamemnon nach der Rückkehr vom Trojanischen Krieg brutal ermordet, das Kind Orest verbannt und die aufmüpfige Tochter Elektra wie ein Vieh aufwachsen lassen.

Der ursprünglich im Schauspiel reüssierende französische Regisseur betont in einer lang ausgedehnten stillen Szene vor Musikbeginn Hugo von Hofmannsthals eigenständiges Drama nach Sophokles, noch vor der Komposition durch Richard Strauss. Die Aufseherin fegt die Stufen, die Mägde und die um sechs stumme Darsteller erweiterte Diener-Crew vollziehen rituelle Besprengungen.

Die ungewöhnliche Besetzung der einzig mit Elektra sympathisierenden 5. Magd mit einer älteren Darstellerin (der legendären Mozart-Sängerin der Sechzigerjahre, Roberta Alexander) löst sich bei einer ergreifenden Wiedersehensszene „Orest lebt!“ zwischen Orests altem Pfleger, dem alten Diener, der Magd und zwei weiteren alten Getreuen des Agamemnon ein.

Aus Chéreaus „Ring“-Inszenierung sind zwei Sängerdarsteller integriert: der inzwischen 92-jährige (!) Franz Mazura (damals Gunther) als immer noch rüstiger, hier den Mord an Aegisth selbst ausführender Pfleger des Orest sowie Donald McIntyre (damals Wotan) als Alter Diener. Mit ihnen agieren Bayreuth-Kämpen, wie Cheryl Studer in der Koppelung von Aufseherin und Vertrauter, Waltraud Meier als Klytämnestra, Adrianne Pieczonka als Chrysothemis, Michael Volle als Orest und Evelyn Herlitzius in der Titelpartie.

Das Mitgefühl erregend, königlich introvertiert und stimmlich schlank, liefert Waltraud Meier ein ungewöhnliches Rollenprofil der Gattenmörderin, deren nächtliche Ängste in einer solchen Interpretation deutlich den Bogen zu Altersproblemen der Marschallin im „Rosenkavalier“ schlagen.

Ungewöhnlich auch die sonst gern lyrisch genommene Chrysothemis, für die Adrianne Pieczonka Strauss’ Anweisung „fast schreiend vor Erregung“ befolgt. Im Gegensatz zur Attischen Tragödie erfolgen die Morde am Königspaar bei Chéreau auf offener Bühne. Michael Volle ist ein völlig unprätentiöser Orest, ein wundervoll zärtlich Liebender im häufig gestrichenen, hier aber offenen Duett mit seiner Schwester Elektra. Dem Schlussjubel der inneren Stimmen jener Musik, die nach Elektras Aussage aus ihr selber ertönt, während ringsum alle am Boden (er)liegen, entschwindet Orest: Die Erynnien des Mutterrechts werden dem gerechten Vollstrecker des Vaterrechts folgen und ihm das Leben zur Hölle machen, bis die klugen Athener sie sesshaft machen, den Rachegöttinnen ein Altersheim bauen und sie so zu Wohlgesonnenen, zu „Eumeniden“ machen werden – aber diesen Teil der Sophokleischen Trilogie hat Hofmannsthal nicht mehr bearbeitet und das hat Strauss nicht vertont.

In Hosen ist Elektra unsere Zeitgenossin: Evelyn Herlitzius bietet das Rollenprofil einer, durch das miterlebte Negativbeispiel ihrer Mutter nicht ausgelebten, aber durch Verkrustungen immer wieder hervorbrechenden, jungfräulich gebliebenen Sexualität, fixiert auf den toten Vater und auf die erhoffte Heimkehr des Bruders, mit schneidenden Tonhieben und mit vielen, ganz zauberhaften Piani. Wenn sie den Ozean auf sich lasten spürt, singt diese Elektra, erschöpft sitzend, mit vornüber gebeugtem Oberkörper Richtung Boden. Und nachdem sie zuvor einen nervös exzentrischen Tanz impulsiver Zuckungen initiiert hat, passiert am Ende der Tanz nur noch in ihrem Kopf.

Dass eine derartige Skala an Tonentfaltung bei der dicht gefügten Partitur von Strauss’ einaktiger Tragödie möglich ist, verdankt der Hörer der exquisiten Staatskapelle unter ihrem Chedirigenten Daniel Barenboim. Der hat wiederholt mit Chéreau zusammengearbeitet (im Jahre 1994 „Wozzeck“ in Berlin und „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen und 2007 „Tristan und Isolde“ in Mailand). Und mit seiner Arbeit an der „Elektra“ will Barenboim erklärtermaßen „nicht nur die Inszenierung beleben, sondern auch den Geist Chéreaus“. Dies gelingt ihm in hohem Maße: die ungekürzte Partitur wird aufgebröselt in ihre motivische Vielfalt, lässt sonst Ungehörtes, wie das Schnauben der Pferde und Röcheln der Hunde, deutlich erfahrbar werden und auch Verbindungen zu Strauss’ vorangegangenen und späteren Partituren aufblitzen. Die Schläge des Opferzuges der Klytämnestra werden als deren innere Nervenstränge umgedeutet.

Großartige Besetzungen aus dem Haus, darunter Stephan Rügamer als Aegisth, Marina Prudenskaya als Schleppenträgerin, Bonita Hyman, Katharina Kammerloher und Anna Samuil als weitere Mägde, sowie der aus dem Off ertönende Staatsopernchor runden das hochkarätige Ensemble zu seiner fulminanten Gesamtleistung.

Nicht enden wollender Applaus dankte allen Beteiligten. Im Publikum rundum gleichermaßen Rührung und leuchtende Augen. Strahlende Mienen bei allen Zuschauern, das erlebt man höchst selten nach Premieren.

  • Weitere Aufführungen: 26., 29. Oktober, 1. und 4. November 2016. Staatsoper im Schiller Theater.

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