Zum statischen Vorspann eines unverkennbar alten Lichtspiels drängt sich ein tiefes Brummen. Es gibt sich nur langsam als Orgelton zu erkennen, bekommt eine metrische Struktur und erzeugt zugleich eine unwirkliche Spannung. So beginnt der akustische Kommentar zu schwarz-weißen, fast einhundert Jahre alten Bildsequenzen.
Später mischen sich andere Instrumente ein, darunter das hohl atmende Harmonium, das in akkordischen Wellen schwelgende Klavier und das treibende Schlagzeug, noch später Violine und Viola als seelenvolle Sänger von Liedern ohne Worte. Sie steuern über das Ohr den Sog der Bilder, die die dramatische Geschichte eines Kaufmanns erzählen, der ein riskantes Geschäft eingeht. Er meint es zu beherrschen, genauso wie sein privates Leben. Beides aber scheitert am nicht Kalkulierbaren, an seinem Charakter, seiner Herkunft, seinem Umfeld.
Das Faszinosum Film in Tönen
Die Orgel steht im Großen Saal der Musikhochschule Lübeck. Dort unterrichtet seit 2005 Professor Franz Danksagmüller Orgelspiel und Improvisation. Professionell betreibt er noch eine weitere Passion, die der Begleitung von alten Stummfilmen. Gern bezieht er seine Studenten ein, als improvisierende Spieler oder als die, die das Konzept erarbeiten, wie hier die Kirchenmusikstudentin Giulia Corvaglia. Zusammen mit sechs weiteren Studenten und alles unter Leitung von Franz Danksagmüller hatte sie das Schema erdacht, das auf Zitate alter Popularmusik verzichtet, dafür aus Klang und rhythmischen Prozessen die Spannung zieht. Danksagmüllers erster Lübecker Auftritt mit diesem Genre geht zehn Jahre zurück, ins Jahr 2008. Damals war es die Begleitung für Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“. 1922 war der Stummfilm gedreht worden, dem etliche Winkel und der Hafen Lübecks als Kulisse dienten, vor allem die Salzspeicher. Heute sind sie ansehnlich, liegen in unmittelbarer Nachbarschaft der Hochschule, damals waren sie verwahrlost, die passende Behausung für Nosferatu, für den Vampir aus Transsylvanien.
Historisches Stadtbild
Vor allem die Außenaufnahmen waren Anlass, Murnaus expressives Meisterwerk im Rahmen des 875-jährigen Stadtjubiläums zu wiederholen. Aber das Jahr ist zugleich das 60. Jubiläumsjahr für die Nordischen Filmtage. Dessen Ende zu markieren bot sich ein anderer Streifen an, auch er auf Lübeck bezogen. Was passt da besser als die erste filmische Annäherung an Thomas Manns „Die Buddenbrooks“? 1923 hatte Gerhard Lamprecht (1897 – 1974) das unternommen und bot ebenfalls reizvolle Außenaufnahmen, wieder vom Hafen, darüber hinaus von der Mengstraße und anderen Teilen der Altstadt. Dazu spielten Interieurs mit, das Buddenbrookhaus oder das Rathaus, vieles in reizvollen Kameraeinstellungen. So war der Film mehr noch als Murnaus Werk eine Lubecensie.
Historisches Geschehen
Lamprecht hatte zu seiner Zeit große Zustimmung für sein Lichtspiel gefunden, nur nicht bei dem Verfasser des Romans. Das ist merkwürdig, da Thomas Mann selbst am Drehbuch mitgearbeitet hatte, aber dennoch urteilte, es sei „ein gleichgültiges Kaufmannsdrama“ geworden, ein „strohdummes und sentimentales Kino-Drama“. Das lässt außer Acht, dass Lamprecht sein Opus einen Film „nach Motiven“ aus dem Roman nannte und für seine Adaption eine in sich geschlossene Fabel schuf. Er beschränkte sich personell auf Thomas Buddenbrook, auf wichtige Familienmitglieder sowie ein paar Personen aus dem geschäftlichen wie gesellschaftlichen Umfeld. Neben der familiären Verstrickung ist eine vom Senat beauftragte Getreidelieferung aus Südamerika, die fach- und fristgerecht durchzuführen war, der Handlungskern. Allein der ergibt ein durchaus eindrucksvolles Zeitbild, das heute selbst in seiner restaurierten Form seine Wirkung nicht verfehlt. Sie war 2001 aus den noch vorhandenen Resten entstanden, wodurch der Film nur noch eine Länge von 85 Minuten hat, 20 weniger als das Original. Wieweit die Kürzungen sich auswirken, ist damit nicht mehr nachvollziehbar.
Musik färbt ein
Das Konzept für die Begleitmusik verdichtet einerseits die geschäftliche und konventionelle Kaufmannswelt des Hauses, andererseits die private, durch Thomas‘ Frau Gerda und ihr künstlerisches Wesen bestimmte Welt. Diese beiden Sphären werden von Farben, die die Instrumente ermöglichen, nachgezeichnet. Thomas und der Welt des Handels sind die atmenden und rauschenden Klänge zugeordnet, während das Private um Gerda, durch die Streicher vertreten wird. So kann die Musik die Handlung des Films nicht nur begleiten, sie gibt ihr zugleich eine tiefere Dimension. Thomas ist der von den „Umständen“ Getriebene, Gerda die Frau, die ihre Welt lebt, sie positiv beeinflussen kann. Die Begleitmusik, eigentlich improvisierte Zutat, öffnet somit durch ihr durchdachtes Konzept einen eigenen Blickwinkel.
Danksagmüller hat in zehn Jahren viel geleistet und eine Reihe von Projekten mit seinen Studenten durchgeführt, Komisches und Ernstes. Was im Jahre 2008 begann, damals noch auf einer zusammengestückelten Leinwand, ist inzwischen nicht nur materiell sehr viel ansehnlicher geworden, da er viele Partner fand. Dazu gehörte anfangs das Kommunale Kino Lübeck, in diesem Fall sind es die Nordischen Filmtage und das Buddenbrookhaus. Florian Vollmers begrüßte die Anwesenden als Festivalmanager und Britta Dittmann, Archivarin und Mitarbeiterin im Buddenbrookhaus, führte kenntnisreich und humorvoll ein.