Es ist richtig und wichtig, die Arbeit von Programmmachern kritisch zu befragen. Warum werden welche Ensembles, Künstlerinnen und Künstler ausgewählt? Was sind die Kriterien oder pragmatischen Entscheidungen für die Gestaltung dieses Festivals oder jenes Konzerts?
Gegenüber der Arbeit von Intendanten, Redakteuren und künstlerischen Leitern liest und hört man inzwischen immer häufiger die Kritik, sie hätten zu wenige Komponistinnen eingeladen. Bemängelt wird auch, dass nicht genügend Musikschaffende von außerhalb Europas, Menschen mit Migrationshintergrund und aus der ehemaligen DDR berücksichtigt wurden. Gefehlt hätten ferner Homosexuelle, Transgender, People of Color, Vertreterinnen und Vertreter dieser Religionsgemeinschaft und jener sozialen Schicht. Gegen Männerdominanz, Heteronormativität und Eurozentrismus wird mit Quantitäten beziehungsweise Quoten argumentiert, die eindeutig sind, nicht aber mit Qualitätsmaßstäben, die schwerer zu rechtfertigen sind. Die in Anschlag gebrachten Kriterien sind gesellschaftspolitischer nicht künstlerischer Natur. Sie sind sozial legitim und delegitimieren zugleich ästhetische Argumente.
Selbstverständlich gilt: Ausschlüsse von Menschen infolge von deren Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe und Religion sind abzulehnen und wo immer sie auftreten zurückzuweisen. Idealerweise bildet demokratische Kunst die Pluralität einer Gesellschaft in all ihren Facetten ab, so dass sich jede und jeder angemessen angesprochen und zur Teilhabe eingeladen fühlen darf. Doch ist das nicht vermessen? Geht diese Forderung nicht an der Komplexität und Diversität von Gesellschaft und Kunst vorbei? Kann wirklich alle Kunst etwas für jeden und jede Kunst etwas für alle sein?
Die Verhältnisse lägen wunderbar einfach, wenn Ästhetik gleichbedeutend mit Ethik wäre. Das Schöne wäre dann automatisch auch das Gute und Wahre, politisch korrekt, moralisch integer, gerecht und solidarisch mit Unterdrückten. Umgekehrt wäre das Gute und Wahre auch gleichbedeutend mit dem Schönen. Keiner könnte mehr etwas falsch machen, niemand würde diskriminiert. Doch leider ist dem nicht so.
Der Wunsch nach künstlerischer Repräsentation aller Majoritäten und Minoritäten funktionalisiert Kunst auf Kosten von deren autonomer Präsentation und lässt sich womöglich auch durch konträre gesellschaftspolitische Indienstnahmen ersetzen. Der ästhetische Humanismus der „Schönen Seelen“, wie ihn einst Winckelmann, Schiller und Beethoven träumten, bleibt auf absehbare Zeit eine bloße Wunschvorstellung. Kunst ist kein Wolkenkuckucksheim, sondern ein zentraler Schauplatz der ebenso individuellen wie sozialen Aushandlung der Grundfrage: Wie wollen wir auf diesem Planeten zusammen (über-)leben? Selbst wenn uns das verlorene Paradies für immer verschlossen bleiben sollte, vermag Kunst auf dem Weg dorthin ein zentrales Hilfsmittel zu sein, weil sie frei nach allen Richtungen experimentiert, blickt, geht, zeigt.
Zur Freiheit der Kunst gehört dann allerdings auch, dass sie nicht nur „Dem Wahren, Schoenen, Guten“ verpflichtet ist, wie es im Giebel der Alten Oper Frankfurt heißt, sondern auch ganz anders sein kann: a-moralisch, skandalös, hässlich, egozentrisch, asozial, abgründig, tabuverletzend, vieldeutig, rätselhaft, ungerecht …
Und gerade weil der Kunst nichts Menschliches, allzu Menschliches fremd ist, liegt in ihrer Freiheit auch der Grund für die Hoffnung, die 1823 schon Ludwig van Beethoven in Bezug auf seine „Missa solemnis“ op. 123 gegen alle trennenden Festlegungen von Menschen auf Geschlecht, Rasse, Herkommen, Stand und Person äußerte: „Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehen“.
Weitere Uraufführungen:
06.12.: Nicolaus A. Huber, Algol – Nachspiel zu Aion, für Klavier, Hochschule für Musik Hannover; Sidney Corbett, Mara für Gitarrenduo, musica nova Reutlingen
08.12.: Camille van Lunen, Exodus für Bariton, Chor, Horn, Streichquintett und Perkussion, Mutterhauskirche Kaiserswerth; Anno Schreier, Der Zauberer von Oz, Theater Aachen
09.12.: Philipp Maintz, Choralvorspiel XIII, Elbphilharmonie Hamburg, sowie 06.01. Choralvorspiele IV und VIII, Jesuitenkirche St. Michael München
10.12.: Ulrich Kreppein, Stefan Polith, neue Werke für Akkordeon und/oder Streichquartett, Theaterhaus Stuttgart
11.01.: Márton Illés, Violinkonzert, WDR-Funkhaus Köln
16.01.: José Luis Torá, specchi a la figura für Violine und Cello, Panakustika Museum Wiesbaden; Eivind Buene, neues Werk für Ensemble Musikfabrik Köln; Detlev Glanert, Ballàbili für Osnabrücker Sinfonieorchester
17.01.: Lucia Ronchetti, Cartilago auris für Klavier, Kölner Philharmonie
24.01.: Manfred Trojahn, Neues Werk für Chor a cappella, Peterskirche Leipzig