Hauptbild
Kraftvolle wilde Cluster: der Pianist Kai Schumacher. Foto: Michael Felsch/C3
Kraftvolle wilde Cluster: der Pianist Kai Schumacher. Foto: Michael Felsch/C3
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Alte Strukturen neu interpretiert

Untertitel
Das „C3“-Festival in Berlin, Essen und Danzig strebt eine „Musik des 21. Jahrhunderts“ an
Publikationsdatum
Body

Crossover ist nicht genug. Was immer man sich bisher ausdachte, um die Grenzen zwischen „ernster“ und „unterhaltender“ Musik, zwischen dem Populären und dem Elitären, zu überwinden, es blieb doch Stückwerk. Meistens versuchte sich die „Klassik“ mit Anleihen aus „niederen Regionen“ aufzufrischen, auch Jazz und Rock wagten Ausflüge ins Experimentelle oder Traditionelle – was oft zu Verwässerungen auf beiden Seiten führte, Verlust an Komplexität oder Spontaneität.

Das „C3-Festival“, das in Berlin, Essen und Danzig ein jeweils leicht abgewandeltes Programm vorführte, will etwas wirklich Neues wagen, einen „Bereich extremer Kreativität und Innovation“ hervorbringen. Programmatisch stehen die drei Cs für „Club, Contemporary, Classical“, meinen die Verbindung von zeitgenössischer Avantgarde und „elektronischer Musik“, wollen „alte Strukturen mit modernen Praktiken interpretieren“. Denn es reicht nicht, die Klassik einfach in den angesagten Club zu verpflanzen, ihr die Lockerheit und Modernität des Ambientes quasi auszuleihen, wenn dann doch nicht viel mehr als das Anstaunen der Museumsstücke durch neue Publikumsschichten stattfindet.

Doch konnte das Festival diesen Anspruch erfüllen, den die künstlerische Leiterin Jennifer Dautermann an vier Abenden nicht müde wurde zu verkünden? Die vierzigjährige Amerikanerin spezialisierte sich nach klassischer Ausbildung auf das jeweils „Modernste“ in „E“ und „U“, war beim British Council für „Arts & Creative Industries“ tätig und gründete das Festival vor zwei Jahren. Auch eine Art deutsch-polnischer Kulturaustausch wurde diesmal durchgeführt: Während in Danzig erstmals „Zeitkratzer“ und „bad boy of music“ Moritz Eggert mit dem E-Gitarren-Duo Shraeng vorgestellt wurden, war in Berlin der Komponist Michal Jacaszek zu erleben, der von Henryk Gorecki und Arvo Pärt beeinflusst weite „atmosphärische“ Klangfelder als elektronisch-instrumentale Mixtur produziert und mit dem Barockensemble „Silva Rerum“ auftrat. Der angesagte Techno-Club „Berghain“ im Berliner Partybezirk Friedrichshain lieferte dazu das schick angeschmuddelte Ambiente. Vor dieser Kulisse zelebrierte auch der geheimnisvolle „Arandel“ – ein „Multiinstrumentalist“, der seine wahre Identität aus Gründen experimenteller Stilvielfalt nicht lüften wollte – sein Werk „In D“, eine Hommage an das berühmte „In C“ von Terry Riley. Das Werk, 1964 zur Ikone des Minimalismus geworden, stellt Anzahl und Art der Instrumente frei und fordert so zur Entfaltung eigener Klangphantasien geradezu heraus.  Doch „Arandels“ Umsetzung läuft sich schnell tot: Nach wabernden Sounds in Moll, stimmungsvoll-esoterisch, treten rhythmische Elemente in den Vordergrund, bis zu guter Letzt ein schlagkräftiger Groove dem Publikum in die Beine fährt und Party abgetanzt wird wie eh und je. Eher simple Strukturen bleiben so wahrnehmbar, weit entfernt von der Vielgestaltigkeit und -farbigkeit des Riley‘schen Vorbilds. Viel spannender dagegen die Klang-Bild-Strukturen des französischen Komponisten und Filmemachers Pierre Jodlowski: Knatternde Motorengeräusche zu rasantem, exakt im Rhythmus abschnurrenden oder stockenden Verkehr sind idyllischen Wiesenbildern mit Vogelgezwitscher und elektronischem Insektensummen konfrontiert, Klischees, die sich gegenseitig brechen, temporeich dramatische Beziehungen eingehen und mit gesprochenen Hintergrundtexten von Beckett’scher Rätselhaftigkeit und Lakonik eine zusätzliche Ebene erhalten. Kai Schumacher steuert dem kraftvolle, mit wilden Clustern und scheppernden Saitengeräuschen gespickte Klavierklänge bei. Schumacher, ebenso klassischer Pianist wie Popmusiker zwischen Techno und Jazz, beeindruckte auch in seinem Recital im Radialsystem mit flexiblem, lebendigem Spiel, ob in der pfiffigen Live-Elektronik-Polyphonie der „Serie blanche“ von Jodlowski, in der die Genres hemmungslos mischenden „Kandinskys Improvisation“ des Kammeropern-Komponisten und Rapper-Gitarristen Gene Pritsker oder in den Spielzeugklavier-Streichen des von Schumacher in Europa propagierten Keith Kirchoff.  Schumacher selbst zeigte sich als lis-tiger Arrangeur in einem Song der US-Band „Slayer“, den er von hartem Trash-Metal in sanfte Melancholie von erstaunlicher Kantabilität überführte.

Tatsächlich waren Stilzugehörigkeiten hier nicht mehr wichtig, verblüffte immer wieder gemeinsames, in alle Richtungen entwicklungsfähiges Grundmaterial. Dass Musik nur gut oder schlecht (komponiert oder gespielt) ist, in verschiedenen Komplexitätsgraden expressive Wirkungen entfalten und damit unterschiedlichste Zuhörer unmittelbar ansprechen kann – diese Einsicht untermauerte der junge Pianist mit hohem Qualitätsbewusstsein. In den restlichen Konzerten entstand nur wenig, was Originalität im Sinne von persönlicher Aussage oder reicher Phantasie hätte beanspruchen können. Das Trio „ESJ“ nutzte den spezifischen Klang von immerhin drei Kontrabassflöten  kaum, fixierte sich allzusehr auf elektronisch verstärkte und verfremdete Geräuscherzeugung, etwa durch unentwegtes rhythmisches Klopfen auf den Corpus. Vom „Industrial Noise“, dessen Lärm bis an die Grenze des Erträglichen provozieren will, soll dies inspiriert sein und greift doch nur Effekte ab, die aus allerlei experimentellen Ansätzen hinlänglich bekannt sind. Julián Elvira mit einer Sammlung von Querflöten und Jesus Navarro am Laptop beschritten die entgegengesetzte Richtung, webten wohlig weiche Meditationsteppiche. 

Diese dem relativ unstrukturiert fließenden „Ambient“ verwandten Klänge sind damit vielleicht eher so etwas wie „angewandte Musik“, über den reinen Konzertrahmen hinausgehend – doch dort näherten sie sich allzusehr der Simplizität eines berieselnden, unbewusst wirkenden Hintergrunds. Was wiederum auf das dezidiert auftretende Frauenensemble „Victoire“ so gar nicht zutraf. Hier war alles kompositorisches Wollen, Ideensuche und recht schlüssige Form. Natürlich muss man Missy Mazzoli, die Ensembleleiterin und Lieferantin der meisten Stücke des Abends, nicht unbedingt als „Brooklyns Mozart nach der Jahrtausendwende“ bezeichnen. Aber Geige, Klarinette, Keyboards und Kontrabass fördern auf mehr oder weniger eklektizistischen, oft romantisch-melancholischen Wegen doch reizvolle Fundstücke zutage – vieles mutet bekannt an und ist doch vor allem durch harmonische Eigenwilligkeiten oft „haarscharf daneben“, zwingt zum Umdenken und -hören. Die „Musik der Zukunft“, das immer wieder ersehnte „Unerhörte“ ergibt auch die Kombination von „Club und Classic“ nicht, doch zusammen mit der Suche nach neuen Darbietungsformen ist sie eine willkommene Belebung eingefahrener und allzu abgehobener Avantgarde-Rituale.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!