Die in komplex ausdifferenzierten Gesellschaften institutionell getrennten Sphären des menschlichen Denkens, Fühlens, Wissens und Handelns bringt er zusammen. In seinen Werken kreuzt er Materialien unterschiedlicher Herkunft und Medialität. Und seine Musik fragt nach dem Verhältnis von künstlerischer Absicht, kompositorischer Umsetzung, gesellschaftlicher Relevanz und ästhetisch-politischer Wirkung. Die Rede ist nicht von einem der jüngeren Komponisten, die in letzter Zeit durch griffige Selbstverschlagwortungen die Differenz von Kunst und Leben aufzuheben suchen: „Diesseitigkeit“ (Martin Schüttler), „Neuer Konzeptualismus“ (Johannes Kreidler), „Diskurskomposition“ (Patrick Frank), „Extended Music“ (Simon Steen-Andersen), „New Discipline“ (Jenifer Walshe), „Contextual Composing“ (Michael Maierhof), „Social Composing“ (Brigitta Muntendorf) …
Nein, die Rede ist von einem Komponisten des Jahrgangs 1939, Nicolaus A. Huber, der bereits seit den frühen 1970er-Jahren in seinen verschiedenen Ansätzen von „Kritischem Komponieren“, „Politischem Komponieren“, „Konzeptioneller Rhythmuskomposition“, „tonalem Nahbereich“ und „Menschenklangfarbe“ Probleme behandelte, „die den Menschen betreffen, aber sich in Musik widerspiegeln“. Statt wie die heute Jung-Engagierten oder seinerzeit Alt-Eisler-Adepten Musik mittels äußerlicher Zusätze, Titel, Texte, Bilder naiv zu politisieren, ging es Huber stets darum, in den Materialien, Strukturen und Formen der Musik selbst gesellschaftliche Normen und Muster zu analysieren und bewusst zu machen. Der Altmeister lässt damit heute manchen Jungen recht alt aussehen.
Die vom 5. bis 7. Mai stattfindenden Wittener Tage für neue Kammermusik widmen Nicolaus A. Huber nun einen Schwerpunkt. Neben sechs älteren Werken gelangt dabei sein neuestes Stück zur Uraufführung: „Split Brain mit vorausgehendem Solo-Shrug (,emotionale Reste‘) für Kammerorchester mit Zuspielung“. Weitere Novitäten stammen von Takuya Imahori, Daniel Verasson, Brian Ferneyhough, Timothy MacCormack, Oscar Bianchi, Malika Kishino, Clara Iannotta, OndÅ™ej Adámek, Milica Djordjevic, Martin Grütter, Rand Steiger, Philippe Hurel, Philippe Manoury, Eun-Hwa Cho, Gordon Kampe, Jens-Uwe Dyffort/Roswitha von den Driesch, Barblina Meierhans, Cathy von Eck und Thomas Taxus Beck.
Etliche Uraufführungen bietet auch die siebte Ausgabe des Festivals Acht Brücken / Musik für Köln vom 28. April bis 7. Mai. Die neuen Werke stammen von Manfred Trojahn, Harrison Birtwistle, Vladimir Guicheff Bogacz, Michael Ellison, Francisco C. Goldschmidt, Julien Jamet, Jakob Lorenz, Isabel Mundry, Manfred Trojahn, Ying Wang und Unsuk Chin, der das Festival einen Schwerpunkt widmet.
Unter dem Gesamtmotto „Ton.Satz.Laut.“ widmet sich die Veranstaltung dem ebenso alten wie ewig jungen Verhältnis von Musik und Sprache. Ob die 1961 in Südkorea geborene und seit bald dreißig Jahren in Berlin lebende Komponistin zu diesem Thema jedoch Substanzielles beizutragen hat, wird sich erweisen müssen. Chin begreift Sprache vorrangig als artikulatorisches Material für musikalische Virtuosität und Theatralität, nicht aber wie etwa Huber als Zentralmedium des menschlichen Bewusstseins, kommunikativen Handelns, Welt- und Selbstverständnisses.
Weitere Uraufführungen
1.5.: Karl Gottfried Brunotte, COELO PHYSIS, Kulturbahnhof Bad Homburg
6.5.: Johannes Boris Borowski, Encore für das von Daniel Barenboim neu gegründete Boulez-Ensemble, Pierre Boulez Saal Berlin
9.5.: Boris Müller, Poème mécanique für zwei Schlagzeuger, Südseite nachts, Theaterhaus Stuttgart
16.5.: Caspar Johannes Walter, Interludien für Orgel und Theorbe, Orangerie Schwetzingen
20.5.: Richard Barrett, natural causes I, IV, X, XIV für Ensemble Musikfabrik, WDR Köln
24.5.: Santiago Díez-Fischer, neues Werk für Trio Catch, Resonanzraum St. Pauli
28.5.: Philipp Maintz, hängende gärten für großes Orchester, Berliner Philharmonie