Ein alter Traum wurde wahr. Das verlängerte zweite Aprilwochenende bescherte der oberösterreichischen Landeshauptstadt das Glück, überregionale Aufmerksamkeit. Linz durfte sich vier Tage lang wie eine Kulturmetropole fühlen: Mit tief gestaffelten Aktivitäten wurde das neue große Musiktheatergehäuse am „Volksgarten“ nächst dem Hauptbahnhof eingeweiht.
Erbaut wurde der mit allen erdenklichen technischen Finessen ausgerüstete, mit einer großen Halle, einem Orchesterprobensaal, der Studiobühne Blackbox sowie großzügig zugeschnittenen Foyers bestückte Gebäudekomplex in den letzten vier Jahren – gegen den durch Volksbefragung im Jahr 2000 ermittelten Willen der Bevölkerung. Der ist auch in repräsentativen Demokratien gegebenenfalls ein offensichtlich „nachverhandelbarer“ Faktor. Selbst Entscheidungen, die mit einer Mehrheit von 60 Prozent der Stimmen getroffen wurden, müssen offensichtlich hinter „notwendigen Wirtschaftsinteressen“ zurückstehen. Basta.
Dabei gab es vernünftige politische, kulturhistorisch und pragmatisch motivierte Gründe für die Zurückhaltung hinsichtlich dieses Bauvorhabens. Bereits der als Maler gescheiterte Adolf Hitler fertigte in den 20er-Jahren Skizzen für ein neues Opernhaus und gab, als er mit dem „Anschluss“ Österreichs dazu Gelegenheit bekam, im Zuge der Aufrüstung von Linz zur „Kulturhauptstadt“ auch die Planung einer Opernhalle mit rund 2.000 Plätzen in Auftrag. Der Berliner Architekt Paul Baumgarten wurde mit der Umsetzung des Diktatorenwillens betraut: Vorgegeben von höchster Hand wurden zum Beispiel eine leicht geschwungene Eingangsfront sowie die axial zu einer Prachtstraße ausgerichteten 18 Meter hohen und jeweils 180 Meter dicken kannelierten Steinsäulen (westlich von diesem „Herzstück“ sollte den Opernplatz das „Führermuseum“ abschließen, östlich eine Bibliothek).
Standortfaktor
Die hochfliegenden Pläne für die „Kunst- und Kulturmetropole Linz“ gingen zwar im Bombenhagel des letzten Kriegsjahres unter, aber sie geisterten weiter durch die Politikerköpfe. Seit 2009 haben sie sich, in modifizierter Form, zu einem zehngeschossigen Gebäude erhoben. Das riegelt den als Stadtpark beliebten „Volksgarten“ ab, behandelt die Grünfläche als seinen „Vorgarten“. Überhaupt ist interessant, wie bei diesem Projekt braune und grüne Vorgaben zusammenflossen – die Betreiber rühmen die „bahnbrechenden Standards in Sachen Ökologie und Energieeffizienz“. Zugleich, dass es (vor allem durch Baustellentourismus) bereits im Vorfeld der Eröffnung „am besten Weg“ sei, in der öffentlichen Wahrnehmung „ein Markenzeichen Oberösterreichs“ zu verankern. Man glaubt dem Kaufmännischen Direktor aufs Wort, wenn er versichert: „Wir wollen keinen Elfenbeinturm der Kunst“. Es ging und geht um die ‚Neupositionierung‘ des „‚weichen‘ Standortfaktors“. Dabei verlassen sich die aus der Region lukrierten Sponsoren darauf, dass die anfallenden Kosten ganz überwiegend von den Steuerzahlern bestritten werden. Sie konnten und können die gewünschten Werbewirkungen mit einem Minimum an Einsatz eigener Mittel erzielen – noch nicht einmal drei Prozent der Kosten von Bau und Inauguration dürften sie mit ihren Steuersparmaßnahmen tatsächlich beitragen (von den Folgekosten ganz zu schweigen).
Nun steht er also da an der Ecke, der alles andere als luzide oder gar elegant wirkende Kasten mit den funktional kaum zu begründenden dicken Betonlamellen vor den Fenstern der Dach-etage – wie eine Mischung aus spätrealsozialistischer Kulturpalast und Regionalbahnhofsneubau. Innen dominiert in den Aufgängen und im hufeisenförmigen Auditorium das in verschiedenen dunklen Tönen gehaltene braune oder schwarz gebeizte Holz. Technisch, so wird den Journalisten gesagt (die dies allerdings kaum nachprüfen können), sei die Halle aufs Feinste und Neueste gerüstet. Da wurde wohl nicht am falschen Platz gespart. Auch die Akustik, am Modell 1:10 vorgetes-tet, erweist sich bei den ersten Eindrücken als vorzüglich. Aber hinsichtlich der feinfühligen Details ist dies erst zu diagnostizieren, wenn nicht an die 200 Mitwirkende in den Saal, den Graben und auf die Bühne beordert werden wie jetzt bei der Uraufführung einer neuen Oper von Glass, sondern Mozart, Meyerbeer oder Massenet zur Disposition stehen.
Schöne Irrwege
Gerahmt von der Uraufführung „Ein Parzival“, bei der die als „Spektakeltruppe“ angekündigte katalanische Künstlerformation La Fura dels Baus mit Tauchern, Läufern, Kletterern und Skifahrern aus Linz und Umgebung zusammenwirkte, und der Österreichischen Erstaufführung des Musicals „Die Hexen von Eastwick“ wurde das neue Haus in Linz mit der Uraufführung der Peter Handke-Oper „Spuren der Verirrten“ von Philip Glass inauguriert. Der Intendant des Landestheaters, Rainer Mennicken, dampfte einen zeitgeistgenährten, dabei aber nicht sonderlich reichhaltigen Text von Peter Handke ein. Mit ihm präsentiert Regisseur David Pountney Paare als Passanten. Dazwischen immer wieder (absichtsvoll?) dilettantisch arrangierte Parodien von TV-Sendungen „Pro und contra“. Drei Alphornspieler bringen Ruhe in die hektischen Aktionen der Balletteusen in kessen Dirndln, auch ein Schaf auf Rollen, die Milchkuh und später überdimensionale Hasen. Einen Anflug von subkutaner Botschaft vermittelte ein doppelt armloser Invalide, dessen Vater und Großvater schon den Heldentod starben (man ahnte, dass da Pazifismus irgendwie ein Anliegen sein könnte). Zur Halbzeitpause ging die Bettenlandschaft in Brüche, die vielen Akteure auf der Bühne sanken wie tot zu Boden. Doch nach Wiederanstoß der quirlig-repetitiven Musik, scheint das Menetekel so gut wie vergessen und gehört die nächste halbe Stunde dem Ballett. Für den Schleiertanz der Salome und deren nackten Tod, das ausgetanzte Zerwürfnis Isaaks mit Vater Abraham, die von Flötensolo begleiteten Vorwürfe der Tochter an Mutter Medea oder das pantomimische Zusammentreffen von Oedipus, Graf Oktavian und Feldmarschallin Marie Thérèse von Werdenberg funktionierte die Musik mit ihrem beharrlichen Drive plausibel. Schließlich zog das Orchester aus dem Graben auf die Bühne und demonstrierte, wie ansprechend es auch von dort aus klingen kann. Russel Davies trieb zum Finaltableau, das in aufwendigster Kitschpracht arrangiert wurde, eine Ode an die Lebensfreude an.
Mitte Mai steht eine weitere Uraufführung an: Peter Androsch installiert mit seiner „Opernmaschine“ in der Blackbox, der für etwa 250 Besucher konzipierten Studiobühne, einen heiteren Eröffnungsnachzügler. Zu Beginn der Saison 2013/14 schwenkt dann der Kurs des ambitionierten Provinztheaters Linz mit einem von Uwe Eric Laufenberg inszenierten Wagner-„Ring“ auf Stadttheater-Normalkurs ein. Voraussichtlich wird auch Wagners Tetralogie wieder überbordend bebildert und anspielungsreich aufgemischt – wie die „Spuren der Verirrten“ oder die Kölner „Meistersinger“, die den Auftakt zu Laufenbergs unschönem Abgang in der niederrheinischen Metropole gaben. Mag aber sein, dass dieser Form des Musiktheaterentertainments die Gestade der Donau gewogener sind als das unberechenbare Rheinuferpflaster.