Hauptbild
Tim Stolte, Hjongseok Lee, Taras Konoshchenko, Daniel Jenz, Shavleg Armasi, Carla Filipcic Holm, Herbert Lippert. Foto: Jochen Quast
Tim Stolte, Hjongseok Lee, Taras Konoshchenko, Daniel Jenz, Shavleg Armasi, Carla Filipcic Holm, Herbert Lippert. Foto: Jochen Quast
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Angela – die Alternativlose – Florian Lutz inszeniert in Lübeck Wagners Tannhäuser als Psychogramm der Merkel-Ära

Publikationsdatum
Body

Richard Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ erweist sich immer wieder als erstaunlich offen für Interpretationen. Dabei kann sich jeder wagemutige Regisseur auf das Bonmot des Komponisten an seinem Lebensende berufen, wonach er der Welt noch einen Tannhäuser schuldig sei. Er selbst hat eine ganze Auswahl von diversen Fassungen hinterlassen. Und so mäandert die Rezeptionsgeschichte zwischen einem Diskurs über Sexualmoral und Frauenbild, Künstleroper und Gesellschaftsporträt, historischem Spektakel oder analytischer Spurensuche nach dem Ungeklärten und Brisanten für die Gegenwart oder irgendwo dazwischen.

Regisseur Florian Lutz hat jetzt in Lübeck ein Psychogramm der bundesrepublikanische Befindlichkeiten in den Jahren unter Kanzlerin Angela Merkel ziemlich geschickt mit einer Einladung ans Publikum verbunden, das Ganze als modernes Selbstbefragungs-, Mitmach- und sogar Mitsing-Theater neu zu entdecken. Im Vorfeld war von Erlebniskarten zu lesen, die man erwerben könne, um das Ganze aus der Nähe, auf der Bühne oder im Graben, mitzuerleben. Das ist keineswegs eine Kopie von Sebastian Baumgartens Zuschauern auf der Bayreuther Biogasanlagen-Bühne, die in diesem Jahr das letzte Mal bei den Wagnerfestspielen zu erleben war.

Im Foyer des Lübecker Theaters werden Zuschauer vor der Premiere zunächst nach dem befragt, was sie denn für Sünde halten. So wie da von Eitelkeit, zu viel Essen und Trinken, Geldgier und Ehebruch in die Videokamera von Katharina Spuida-Jabbouti gesprochen wird, werden dann auf der Bühne (Christoph Ernst), die den Zuschauerraum noch einmal auf dem Rundhorizont andeutet, eine mobile Bar, ein Frisiersalon, ein Spieltisch und eine Tabeldancestange aufgefahren, wo sich genau diese Zuschauer und ein paar mehr dann „verwöhnen“ lassen bzw. „sündigen“ dürfen. Was ziemlich authentisch über die Rampe kommt.

Die vier Edel-Knaben aus dem Stück (mit viel Spielwitz und trainiert, um jede Art von Einwürfen zu parieren und zu integrieren: Andrea Stadel, Imke Looft, Frauke Becker, Annette Hörle) sind taffe Hostessen und moderieren zumindest durch die Hälfte des Abends. Einschließlich einer (tatsächlich angenommenen) Einladung an das Publikum, vor der Ouvertüre erstmal eine Runde mitzusingen:  „Ach, schwer drückt mich der Sünden Last, kann länger sie nicht mehr ertragen; drum will ich auch nicht Ruh noch Rast, und wähle gern mir Müh’ und Plagen.“ Zu eingeblendetem Text und Notenbild, samt detaillierter Erläuterung und Dirigat von vorn. Ein Pilgerchor mit Fischerchöre-Tatsch – das hat es wohl auch noch nicht gegeben. Einem Teil des Publikums machte das durchaus Spaß, brachte aber auch die strengen Wagnerianer für ihre vehementen Buhsalven am Ende schon mal in Stellung. Wer die Unterbrechung der Musik zu den Todsünden auf der Opernbühne zählt, wird diesen Tannhäuser für eine Höllenfahrt halten.

Aber Florian Lutz ist klug genug, um diese Ebene nicht überzustrapazieren. Die Zwischen-Kommentare werden weniger, sind beim Einzug der Gäste zum Sängerwettstreit im zweiten Akt fast gänzlich auf die Übertitel reduziert und unterbleiben im Dritten ganz. Da allerdings nimmt der hintergründige Witz seiner Bilderwelt Fahrt auf. Nach der höchst praktischen Selbstbefragung zum Thema Sünde heute, und einem Auftritt von Venus (schick, elegant und als vokales Großformat: Julia Faylenbogen) und Tannhäuser im Stile eines Galakonzertes mit Ausraster, marschiert die Wartburg-Gesellschaft in Gestalt des aktuellen politischen Führungspersonals auf. Dank Mechthild Feuerstein (Kostüme) kommt Wolfram von Eschenbach (eloquent und sicher: Gerard Quinn) im Rollstuhl als Wolfgang Schäuble und ähnelt immer mehr auch Helmut Kohl, Biterolf (Taras Konoschenko) als Frank Walter Steinmeier, Walther von der Vogelweide (sehr geschmeidig: Daniel Jenz) mit rotem Schal und Fahrrad als Hans Christian Ströbele. Tim Stolte legt als Reinmar von Zweter einen ebenso musterschülerhaften Guido Westerwelle aufs Parkett wie Hjongseok Lee seinen Sigmar Gabriel-Streber. Man errät dann schon, dass Shavleg Armasi als Landgraf nur Gauck sein kann und ist dankbar, dass uns eine Venus a la Claudia Roth oder so erspart bleibt.

Nur konsequent ist dann, dass Elisabeth die teure Halle, also den erleuchteten Zuschauerraum, als Opernfreundin Angela Merkel vor dem geschlossenen Vorhang grüßt. Dafür genügen Carla Filipcic Holm Frisur, Oslo-Dekolleté und Habitus. Die berühmte Raute hebt sich Florian Lutz auf, um aus dieser selbstgestellten Falle wieder heraus zu kommen. Denn diese Elisabeth kann er ja nun schlechterdings nicht sterben lassen. Er macht etwas anders – er verklärt sie: Das „Allmächtge Jungfrau“ der Elisabeth wird hier zum Amtseid nach flott durchgezogener (Wieder-)Wahl durch die aus Rom heimkehrenden und jetzt gleichgeschalteten Pilger. Und sie zur roboterhaft entrückten Regierungschefin in Blazer, Hose und mit Raute.

Das Lachen bleibt im Halse stecken, wenn dann jeder kollegiale Händedruck für die männlichen Kollegen dazu führt, dass die tot zu Boden sinken. Nur der Mann im Rollstuhl ist klug genug, um sich dem zu entziehen. Dass der bei seinem Lied an den Abendstern das Riesenlogo der entsprechenden deutschen Automarke ansingt, versteht sich hier fast von selbst. Und dass Tannhäuser als abgerissener Penner aus Rom zurückkehrt und im gesellschaftlichen Aus an der Rampe landet, während hinter ihm ein Riesenbanner mit der gekrönten „Alternativlosen“ wie ein Spiegelcover gen Schnürboden entschwindet ebenso.

Tannhäuser als Störgröße

Als Schlusspointe werden dann tatsächlich mal im wahrsten Sinne des oft bemühten Brecht-Wortes die offenen Fragen auf den geschlossenen Vorhang projiziert. Wobei natürlich auch die dazu gehören würde, wer dieser Tannhäuser nun eigentlich ist. Vielleicht ja die Wunschgestalt eines Kritikers (der Wartburg- und damit unserer Gesellschaft), der den Müll hinter den Kulissen wieder hervorholt. So wie bei diesem Sängerwettstreit, der eigentlich ein Diskurs über die auf Spruchbänder geschriebenen Mainstreamwerte Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung, Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit ist. Tannhäuser als Störgröße nicht nur der herrschenden Sexualmoral, sondern eine Nummer größer gedacht, vor allem der Welt des schönen Wortscheins und der allgemeinen Heuchelei? Warum dieser mutige Mann dann freilich einknickt, weil ihm die Gesellschaft, wie nicht anders zu erwarten, handgreiflich widerspricht, bleibt (wie immer in dieser Oper) eine offene Frage. Oder vielleicht doch nicht?

Vielleicht ist das, was Wagner mit der Obsession für die reine Liebe zu Maria umschrieb, nichts anders als das Harmoniebedürfnis einer saturierten Gesellschaft geworden, die den Müll nicht mehr sehen will, nachdem sie ihn getrennt und hinter den Kulissen entsorgt hat?

Florian Lutz hat ein diskussionsanregendes Konzept stringent umgesetzt. Dass mit dem Spruchband „Schützt unsere Buchenwälder“ vor den angedeuteten Stämmen des besungenen deutschen Eichenwaldes, auch eine Assoziation verbunden ist, die in Weimar, gleich neben dem ehemaligen KZ Buchenwald ganz anders klingen würde, als in Lübeck, sei nur angemerkt. Man sollte diesmal vielleicht doch lieber den Eichenwald schützen.

Alles in allem kann sich Lübeck einer der aufregendsten, packendsten und politisch wirklich aktuellen Tannhäuser-Deutungen rühmen. Ein gescheite, aus eigener Überlegung entstandene Fortsetzung von Baumgartens Bayreuther Experiment, freilich ohne dessen ästhetische Selbstblockaden.

Musikalisch hat die lobenswerte Lübecker Risikobereitschaft auch ihren Preis. Während die Frauen Heinrichs auch mit etwas weniger Lautstärke immer noch das von Ryusuke Numajiri ziemlich auf großen und vor allem lauten Wagnerton getrimmten Philharmonischen Orchester Lübeck überglänzt hätten, war vor allem der Tannhäuser von Herbert Lippert gewöhnungsbedürftig. Er bot dafür seine Sängererfahrung und auch Kondition auf, machte aber auch manch abenteuerlichen Umweg um den ja mitlesbaren Text und die Intonation. Imponierend, aber mit Steigerungspotential, führt Shavleg Armasi als Landgraf die in jeder Hinsicht geforderte Sängertruppe an. Musikalisch mag sich da (zumal viele Rollen doppelt besetzt sind) noch einiges entwickeln. Der szenische Rahmen freilich rückt das etwas abgelegene Lübeck mit diesem Tannhäuser durchaus ins Zentrum der Wagnerwelt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!