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World Music Days.
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Architektur der Musik: Lichtvolle Klänge in Wroclaw

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Alle zwei Jahre richtet die Oper Wroclaw ein Festival der zeitgenössischen Oper aus und beweist damit, wie ernst sie es mit der musikalischen Moderne meint. In diesem Herbst fand dieses Festival zeitgleich mit den World Music Days 2014 statt, die von der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM bzw. ISCM für International Society for Contemporary Music) seit 1922 in jährlich wechselnden Städten ausgerichtet werden.

Dass die Neue Musik solche Förderung nötig hat, wurde von der sogenannten Zweiten Wiener Schule frühzeitig erkannt. Komponisten wie Béla Bartók, Paul Hindemith, Arthur Honegger und Anton Webern hoben die heute weltweit vernetzte Institution gemeinsam mit weiteren Kollegen zu den Salzburger Festspiele aus der Taufe. Wenn die ISCM nun in Wroclaw die World Music Days austrägt, darf das gewiss als Anerkennung für die dortige Oper zu sehen sein, die seit 1995 unter der künstlerischen Leitung von Ewa Michnik steht und seitdem zu einem Hort der Moderne avanciert ist. Aller zwei Jahre wird eigens ein Festival der zeitgenössischen Oper ausgetragen, das diesmal mit der polnischen Erstaufführung der Oper „Angels in America“ von Péter Eötvös sehr erfolgreich eröffnet worden ist. Der Ungar András Almási Tóth inszenierte diese Produktion, die unter der persönlichen Leitung des Komponisten stand. Eötvös soll von diesem Engagement so angetan gewesen sein, dass er versprach, 2016 zum V. Festival wieder mit dabei zu sein. Dann ist Wroclaw Europäische Kulturhauptstadt (gemeinsam mit dem spanischen San Sebastián), wofür jetzt schon unübersehbar Vorbereitungen an fast jeder Straßenecke getroffen werden.

Eine der größten Herausforderungen ist dabei die hoffentlich baldige Fertigstellung der Konzerthalle Wroclaw. Der riesige Kubus in Sichtweite des Opernhauses sollte ursprünglich bereits im Herbst 2012 eröffnet werden. Wenn es Ende nächsten Jahres dann endlich soweit ist, wird das Nationale Musikforum neben einem großen Saal mit 1.800 Plätzen auch drei Kammermusiksäle beinhalten. Ein immenser Gewinn für die Musikpflege in Polen, gewiss auch für die Neue Musik.

Wroclaw im Herbst: Eine große Zeit für Neue Musik

Die hatte jetzt zehn Tage lang eine ganz große Zeit in Wroclaw. Ein gewichtiger Katalog mit nicht weniger als 546 (!) Seiten informierte über Dutzende Veranstaltungen, die in Oper und Philharmonie, in der Jahrhunderthalle, der Universität, in Galerien, Kirchen und Museen ausgetragen wurden. Mit einem Improvisationslaboratorium gesellte sich während zweier Tage auch noch das Festival Jazztopad in diesen klangvollen Reigen.

Den Abschlussabend sowohl der World Music Days als auch des IV. Festivals der zeitgenössischen Oper krönte die Uraufführung der „Fünf Gesänge aus dem Käfig“ von Prasqual. Das ist der Künstlername eines 1981 geborenen Komponisten aus Polen, der heute in Köln lebt und sein internationales Publikum vor dem schwer aussprechlichen polnischen Familiennamen bewahren will. Vor allem aber möchte er mit der zweiten Silbe auch das mitunter Quälerische betont wissen, das Qualvolle am Schaffensdrang.

Dass seine Musik so gar nicht danach klingt, jedenfalls nicht als in erster Linie bedrückend wahrgenommen wird (dennoch gewiss einem mühsamen Schreibprozess entstammt), hat womöglich schon mit Prasquals Vorbildern und Lehrern zu tun. Er nennt da unter anderem York Höller und Manfred Trojahn sowie – unverkennbar – Karlheinz Stockhausen.

Dessen zyklisches Arbeiten sowie der immer wiederkehrende Bezug zu außermusikalischen Gegebenheiten wie Glauben und Licht ist von Prasqual kaum weniger intendiert. Raumklänge durchziehen bereits sein dreiteiliges, als Architektur von Licht bezeichnetes Bühnenprojekt „Orlando“. Sie sind auch überdeutlich in den „Fünf Gesängen“ zu vernehmen. Auf der großen Opernbühne waren die kurzweiligen 80 Minuten facettenreich verklungen, ein wirklich eindrucksvolles Erlebnis. Darauf eingestimmt wurde das Publikum mit durch den Raum schwingenden Klängen, in die mal lautmalerisch silbenbetont, mal real verständlich Worte gesetzt waren. Hellste Flötentönen haben dies umschwirrt, bis die tiefen Streicher und Bläser geradezu fundamentale Schichten eingesetzt haben. Da wurde zementiert und wurden in spannungsvoller Akkordik Brücken gebaut, ein Mezzosopran und ein Bariton wetteiferten mit dem Sprecher, von links und rechts tönten aus den zwei Etagen der Bühnenlogen Bläserstimmen und Schlagwerker. Mit teils bizarrer Rhythmik stürmten Hand-Werker an Klangholz und Xylofon mal zeitgleich, liefen auseinander und fanden sich wieder. Heftige Bogenschläge der Streicher schienen zum Tosen der Röhrenglocken geradezu auf der Suche, auch den letzten Winkel des Raumes mit Klang auszufüllen. All diese räumlich erlebbaren Schichtungen aus Klang und Struktur, die zudem mit elektronischen Einspielen und teils mikrotonalen Konzentrationen gewürzt waren, haben eine enorme Hingabe der beteiligten Musikerinnen und Musiker verlangt. Echohaftes Schlagwerk zwischen Bühne und Loge etwa erfolgte ungemein präzise, auch Trompeten riefen und antworteten einander wie aus einer fremden Welt, was durch den Einsatz elektronischen Rauschens noch verstärkt worden ist. Bei aller Exaltiertheit etwa in Surround-Konstrukten oder in vorgeführter Atemtechnik – diese stets im Schwingen gehaltene Klangkonstruktion hatte auch Witz, fesselte und geriet ungemein spannend.

Musikdirektor Tomasz Szreder hat derlei Herausforderungen mit dem Orchester der Oper Wroclaw sowie mit der Sängerin Jadwiga Postrozna und dem Gast Mariusz Godlewski in überzeugender Weise gelöst, was höchsten Respekt verdient. Zentral vor dem Dirigenten platziert war ein mit Wasser gefülltes Klangbecken, das die beiden Gesangssolisten im einzigen szenischen Moment lustvoll bedächtig plätschern und rauschen lassen durften. Als Grandseigneur polnischer Schauspielkunst erwies sich Jerzy Trela, ein Altmeister, der sich tief in die „Fünf Gesänge“ eingefühlt hat. So hinterließen die bei Tadeusz Rózewicz in Auftrag gegebenen Texte gewaltigen Eindruck auch jenseits des Wortverständnisses. Die Witwe des im April diesen Jahres verstorbenen Dichters zeigte sich von dieser Umsetzung sehr angetan.

Und auch Meister Stockhausen dürfte sich über seinen gelehrigen Schüler sicherlich von irgendeiner Wolke aus gefreut haben. Denn aus den „Fünf Gesängen“ klang tatsächlich ein Leuchten hervor, ein Leuchten nicht nur aus dem vermeintlichen Käfig, sondern tief in die Architektur des von Prasqualschen Lichtklangs hinein. Ein Nachhören dieses Auftragswerks soll in Kürze auf dem Internet-Auftritt der Oper Wroclaw möglich sein.

Die Zukunft im Blick

Weder das Opernfest noch die Musiktage waren als Feierstunden der Moderne nur für Insider konzipiert. Im Gegenteil, die Neue Musik sollte in die ganze Gesellschaft hineinstrahlen. So wurden Schulen eingeladen, unterrichtsbegleitend die Ohren für aktuelle Entwicklungen zu öffnen. Kinder und Jugendliche verfassten Rezensionen zu ausgewählten Programmteile, die im Musikunterricht ausgewertet werden sollten.

Und auch sonst hatte man mit diesem Gegenwartsbezug die Zukunft fest im Blick. Es war zu erfahren, dass Krzysztof Penderecki an einer neuen Oper schreibt. Dessen „Paradise Lost“ wurde zum Festival ebenso wie „Die Falle“ von Zygmunt Krauze aus dem Repertoire geholt und szenisch präsentiert.

Wroclaw dürfte während dieser Tage im Herbst also durchaus wieder einmal als Vorreiter der Moderne gegolten haben. Dennoch werden die Traditionen auch hier nicht vergessen. So soll Mitte Dezember das Richard-Strauss-Jahr noch mit einer Neuinszenierung des „Rosenkavalier“ gekrönt werden. Immerhin war der Komponist seit 1900 mehrfach im damaligen Breslau zu Gast, hat eigene Werke dirigiert und kam auch zur „Reichsdeutschen Uraufführung“ von „Schlagobers“ und seiner Ballettmusik „Heiteres Tanzspiel“ im Jahr 1924 gern zurück.

Und an einem Widerhall des Richard-Wagner-Jahres arbeitet Intendantin Ewa Michnik ebenfalls: Für 2015 wünscht sie sich eine Open-Air-Aufführung des „Fliegenden Holländer“ auf einer Seebühne. Da sollten Europas Wagner-Fans schon mal aufhorchen.

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