Manchmal hat die Findigkeit, mit der die Theater auf die Pandemie-Beschränkungen reagierten, nachwirkend positive Nebeneffekte. In Koblenz hatte man John Adams’ „Nixon in China“ für den März 2021 auf dem Plan. Dieses Opernprotokoll von Richard Nixons historischer China-Reise vom Februar 1972, das 1987 in Houston uraufgeführt wurde, ist längst zu einem der gar nicht so reichlichen amerikanischen E-Musik-Exportschlager avanciert. Allein der Aufmarsch der Chöre vertrug sich damals nicht mit den geltenden Pandemieregeln und wäre für die Koblenzer Bühne nicht realisierbar gewesen.
So kam man auf die Idee, das Ganze nach außerhalb in die CGM-Arena zu verlegen, und damit die Weite dieser Sport-Halle zu einer Tugend der Abstände zu machen. Wie sich jetzt bei der um mehr als zwei Jahre verschobenen Premiere herausstellte, ist dieser Ausweich-Spielort für das exemplarische Musterbeispiel einer Mimimal-Musik-Oper wie maßgeschneidert.
Die Anmutung der Großen Halle des Volkes in Peking, die von den Mächtigen dort gerne zum Zentrum des Reiches der Mitte stilisiert wird, stellt sich in der Weite der Arena fast von selbst ein. Es macht Effekt, wenn die Präsidentenmaschine auf zwei große Leinwände verteilt zur Landung ansetzt. Das gängige Begrüßungsritual am Fuße der Gangway bei Staatsbesuchen inklusive. Nixon kannte den Wert solcher Bilder, wollte sie für die Welt und seine republikanischen Anhänger daheim und bekam sie en masse. Das Programmheft, das bewusst im Stil der 70er Jahre gehalten ist, bietet hinterm Cover mit dem Mao-Fibel-Titelblatt jede Menge davon. Schwarz-weiss und in Farbe. Gleich zum Auftakt mit einem Beitrag über die Verleihung des Henry-Kissinger-Preises 2022 an den deutschen Bundespräsidenten. Der legendäre Sicherheitsberater, der in wenigen Tagen sein einhundertstes Lebensjahr vollendet, ist der einzige der Protagonisten, der noch lebt. Und der sich zuweilen mit Ratschlägen in die Politik einmischt.
Regisseur Markus Dietze enthält sich mit seiner Regie (anders als Martin G. Berger in Dortmund – siehe nmz Kritik vom 1. März 2023) jeglicher Ambition einer Wertung der politischen Systeme oder Akteure, die über das hinausgeht, was Librettistin Alice Goodman und Komponist John Adams über die Tage in Peking zu berichten hatten. Dass die Macht Maos auf Millionen Toten ruhte, sich aber auch die Amerikaner in Vietnam und im Umgang mit den Afroamerikanern im eigenen Land ein Trauma eingehandelt haben, mit dem sie nicht fertig werden, all das bleibt außen vor. Dadurch kommen hier alle Beteiligten gut weg. Am wenigsten noch Maos Frau Chang Ch’ing, der wohl niemand von ihren Landsleuten gerne in die Quere kam. Hana Lee entlarvt diese als graue Maus getarnte Ideologin als Fanatikerin. Da muss sich Danielle Rohr als Pat Nixon nicht mal anstrengen, um einen menschlich sympathischen Gegenentwurf zu zeichnen. Was ihr fabelhaft gelingt. Auch der Präsident, der sich sein Nachwelt-Image selbst vermasselt hat und dafür zu Lebzeiten auch bei Parteifreunden fast zur Unperson wurde, könnte mit seinem Porträt in dieser Oper höheren Ortes um eine differenziertere Neubewertung nachsuchen. Andrew Finden ist ein in Gestik und mit seinen Marotten auf Anhieb wiedererkennbarer Nixon. (Er erinnert – unbeabsichtigter Nebeneffekt – obendrein an den deutschen Ex-Kanzler, bei dessen Kritik in Deutschland zurzeit jedes Maß abhanden zu kommen droht.) Stimmlich kraftvoll aber im Habitus angekränkelt gibt Tobias Haaks den der Tagespolitik entrückten Mao und Christoph Plessers einen etwas steif wirkenden, gleichwohl fokussierten Premier Chou En-lai, während Nico Wouterse seinem Kissinger einen Schuss Sonnyboy-Image vermutlich als Tarnung beimischt.
Es ist eine Gratis-Rendite dieses Spielortes, dass man sich die auf einer Längsseite der Halle platzierten Zuschauer quasi als Teil der auf Kommando jubelnden Massen (der Chor ist auf 65 Personen aufgestockt und von Aki Schmidt und Karsten Huschke bestens einstudiert) vorstellen kann. Jedes Chormitglied auf den Tribünen zur Dekoration des Rednerpultes kann sich hinter einem Rotgardisten aus Pappe tarnen. Der Eindruck, dass Masse Macht demonstrieren soll, entsteht jedenfalls. Außerdem haben Marcus Merkel und seine Musiker des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie (und die für die Aussteuerung verantwortlichen Techniker) die Akustik und ihre Tücken bewundernswert im Griff. Kaum, dass mal einer zu laut oder zu leise klänge – jeder der Protagonisten hat seine großen Auftritte und bewältigt den mit Bravour. Dazu kommt, dass auch der Theaterbesuch im zweiten Akt, der zum Protokoll gehört, und mit dem Maos Frau ihren Gästen eine so gepfefferte ideologische Klassenkampf-Botschaft unterjubeln will, dass Nixons Frau offen gegen die Brutalität der Darstellung protestiert, als Theater auf dem Theater inszeniert ist und vom Ballett überzeugend gestaltet wird. Für sich genommen macht das genauso einen szenischen Effekt, wie die Dopplung der beiden ersten Ehepaare durch Puppen im dritten Akt.
Ein spartenübergrifender Abend, der Eindruck macht und einhellig bejubelt wurde.