In den USA zählt die Kammeroper über eine Transfrau zu den meistgespielten zeitgenössischen Musiktheaterwerken. Warum das so ist, machte die deutsche szenische Erstaufführung von „As One“ auf fulminante Weise deutlich.
Auf dem Weg zu sich selbst: „As One“ von Laura Kaminsky am Theater Regensburg
Das Streichquartett ist schon da. Während wir den Zuschauerraum des Theaters am Haidplatz betreten, spielt es sich schon mal auf der Bühne ein. Dort wird es den ganzen Abend über in wechselnden Konstellationen präsent sein und damit integraler Bestandteil der Szenerie werden. Sängerin Patrizia Häusermann kommt auch dazu und nimmt lächelnd Augenkontakt mit den vier Musikern auf. Wie von selbst entsteht eine unprätentiöse, positive Grundstimmung – genau richtig für die Art, wie die amerikanische Komponistin Laura Kaminsky in ihrer Kammeroper „As One“ von 2014 mit dem Thema Transgeschlechtlichkeit umgeht.
Gut funktionierendes Libretto
In einer lockeren, gut getimten Szenenfolge begleiten wir den Weg der Protagonistin Hannah vom Jugendlichen zur Frau. Entsprechend ihrem Zustand vor und nach der Transition wird sie parallel von einem Sänger in Baritonlage (Hannah jünger) und einer Mezzosopranistin (Hannah älter) verkörpert. Dass das so gut funktioniert, liegt zunächst einmal am einfühlsamen Textbuch, in dem poetische Sprachbilder und unverschwurbelte Bodenhaftung eine seltene Einheit bilden – mitunter darf sogar gelacht werden. Der Erfolgslibrettist Mark Campbell (u.a. Pulitzer- und Grammy-Gewinner) hat es zusammen mit der Regisseurin Kimberly Reed geschrieben, einer Transfrau, deren autobiografischer Dokumentarfilm „Prodigal Sons“ in einem kurzen Ausschnitt auf dem Bildschirm im Bühnenwohnzimmer zu sehen ist.
Dieses präsentiert sich als etwas befremdlicher Möbelhaustraum in Türkis (Ausstattung: Christiane Hilmer) mit einem drehbaren Sofa im Zentrum und einem später wichtig werdenden Schrank im Hintergrund. Nach der ersten Szene, in der Hannah ihre Weiblichkeit mit heimlicher Freude auslebt, genügt Regisseur Ronny Scholz ein Lichtwechsel seines Beleuchters Leo Moro und eine Rotation des Sitzmöbels, um die Kehrseite sichtbar zu machen: die Angst vor der Enttarnung. Nach diesem Prinzip wechseln sich in der Folge Licht- und Schattenseiten auf Hannahs Weg zu sich selbst ab: Die Erleichterung, mit ihrem Schicksal nicht allein zu sein und die Erfahrung mit Transphobie, die Belastung der Hormonbehandlung und die Freude, endlich als Frau wahrgenommen zu werden, die Befriedigung, ihr eigenes Leben führen zu können und die Entfremdung von der Familie. Für letztere steht das erste Weihnachtsfest, das Hannah nicht zu Hause verbringt, verbunden mit Briefen, die den Elefanten im Raum nicht aussprechen.
Musik zwischen den Wörtern
Laura Kaminskys Musik zeichnet diese Stimmungswechsel genau nach, ohne sich aufzudrängen. Ihr postminimalistischer Stil nistet sich mit rhythmisch pointierter Flächigkeit und durchaus vertrackten Verflechtungen in den Ritzen zwischen den Wörtern ein. Dabei nutzt sie den Klangcharakter der Instrumente (etwa der bisweilen als männlich konnotierten Bratsche) für weitere Bedeutungsebenen und schafft atmosphärische Räume, in denen die beiden Hannahs vokal aufblühen, aber auch heimatlos werden können. In der freitonalen Harmonik wäre mehr Abwechslung wünschenswert, aber wie Kaminsky die tiefe und die hohe Stimmlage ganz natürlich zur Entfaltung und phasenweise auch zur Verschmelzung zu bringen vermag, ist von verblüffender Stimmigkeit.
Das gilt auch für Ronny Scholz’ kluge Akzente setzende Inszenierung, in der Michael Daub und Patrizia Häusermann, beide sängerisch wie darstellerisch herausragend, in ein immer nachvollziehbares Spannungsverhältnis zueinander gestellt werden. Das grandios aufspielende philharmonische Quartett (Yui Iwata-Skweres, Joana Weyland, Matthias Rosenfelder und Arnold Thelemann unter der Leitung von John Spencer) ist an bisweilen im Bühnendunkel geheimnisvoll leuchtenden Notentablets Teil dieses szenisch stets in natürlicher Bewegung befindlichen Entwicklungsprozesses.
In der langen Finalszene hat Hannah sich in die Einsamkeit Norwegens zurückgezogen und findet dort in einem erfrischend selbstironischen Prozess zurück in die Gesellschaft. Sie ist keine Insel – das berühmte Gedicht John Donnes war in einer Schulszene rezitiert worden – und sie muss auch den männlichen Teil in ihr nicht im Schrank wegsperren. Ihr früheres Ich und ihr neues verschmilzt – „as one“ – zu einem einzigen.
Diese in den USA extrem erfolgreiche Oper darf sich nach dieser fulminanten, in Anwesenheit der Komponistin zu Recht umjubelten szenischen Erstaufführung auch in Deutschland gerne durchsetzen. Es wäre ein wichtiges Zeichen in Zeiten, in denen im Zusammenhang mit Genderfragen zunehmend das hässliche Wort „Wahn“ Raum greift.
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