Mit einem nur leicht mit Marimbaphon, Vibraphon, Harfe und Klavier angereicherten Orchester wie zu Beethovens Zeiten hat Jost hier einen dämonisch dräuenden, untergründig pulsenden Sound komponiert. Regisseur Keith Warner und sein Ausstatter Ashley Martin-Davis fügen dem Sog der Worte und der Klänge einen kongenialen szenischen Rahmen hinzu, meint unser Kritiker Joachim Lange.
Wien und Ludwig van Beethoven – das war zu Lebzeiten des im Jahr 2020 allseits bejubelten Komponisten ein Kapitel für sich. Das „Theater an der Wien“ ist das einzige Haus, an dem Beethoven jemals für einige Zeit fest engagiert war. Theaterdirektor Zauberflöten-Librettist Emanuel Schikaneder hatte ihn 1803 ans Haus geholt. Er sollte mit der Vertonung seines Librettos „Vestas Feuer“ an die Erfolge aus Mozarts Zeiten anknüpfen. Aber aus dem Schikaneder-Text wurde keine Beethovenoper. Der Komponist wandte sich dem Leonoren-Stoff zu. Sein „Fidelio“ kam 1805 heraus. Nach seiner Geburtsstadt Bonn kann Wien also historisch tatsächlich eine besonders enge Beziehung zu diesem Komponisten für sich reklamieren.
Das „Theater an der Wien“, als kleineres aber seit Jahren spannenderes Opernhaus der Stadt, ist sich nicht nur dieser Historie bewusst, sondern vermarktet sie auch nach Kräften. Das Stagione-Haus leitete seinen „Beethoven 250“ – Programmschwerpunkt jetzt mit der Uraufführung von Christian Josts neunter Oper „Egmont“ spektakulär ein. Es wird drei Konzerte geben. Neben einer weiteren Uraufführung, der Kammeroper „Genia“ von Tscho Theissing, sowie Mitte März auch noch einer „Fidelio“-Inszenierung von Schauspielstar Christoph Waltz zwei weitere Bühnenwerke. Und natürlich wird auch Beethovens „Egmont“ Musik erklingen, von der sich letztlich nur die Ouvertüre wirklich durchgesetzt hat.
Aber für Intendant Roland Geyer war das Anlass genug, an den opernerfahrenen Komponisten Christian Jost und Librettisten Christoph Klimke den Auftrag für eine Egmont-Oper zu erteilen, um so dem fast schon obligaten „Fidelio“-Rummel eine originelle Novität entgegen zu setzten. Mit ihrer 95-minütigen Oper in 15 Szenen wandeln beide auf den Spuren der Heroen Goethe und Beethoven. Sie ließen sich von deren Geist inspirieren, ohne auch nur ein Zitat zu verwenden oder damit zu spielen. Für seinen Text (an dem auch der Komponist mitarbeitete) greift Klimke natürlich Goethes 1789 uraufgeführtes Trauerspiel auf, reduzierte aber das Personal.
Dem positiven Helden, Graf Egmont, stellt er eine selbstbewusste Geliebte an die Seite – aus Goethes Clärchen wird bei ihm eine reife Clara. Auf der anderen Seite steht der berüchtigte Herzog Alba. Dazwischen laviert Margarete – die Schwester des spanischen König Philipps II. als dessen verständigungsbereite Statthalterin. Nebst ihrem Sekretär für alle Fälle Macchiavell. Ein schräger Typ, der sowohl in den Diensten Margaretes als auch Albas steht. Auch Albas Sohn Ferdinand ist hin und hergerissen – einerseits ist da die Treue zu seinem Vater, dessen Macht auch ihn trägt, andererseits die Sympathie für den charismatischen Egmont.
Herzog Alba wird auch in dieser Oper seinem ohnehin gründlich versauten Ruf voll gerecht. In Franz Schrekers „Der Schmied von Gent“ kommt er als Blutherzog gleich als Abgesandter der Hölle. Hier ist er die Wunderwaffe seines Herren Philipp II. gegen besonders aufmüpfige Untertanten. Einer, der mit eigener Hand ohne Skrupel foltert und mordet. Sogar die mit den Forderungen der Niederländer sympathisierende Schwester des Königs Margarete fällt ihm zum Opfer. Er drückt eigenhändig ab und will diesen politischen Mord Egmont in die Schuhe schieben, um ihn bei seinen Leuten unmöglich zu machen. Egmont seinerseits bleibt unbeirrt bei seinem Glauben an das Gute und die Freiheit. Er glaubt sogar (wie Posa im „Don Karlos“) daran, den König durch Argumente überzeugen zu können. Natürlich bleibt auch er auf der Strecke.
Mit einem nur leicht mit Marimbaphon, Vibraphon, Harfe und Klavier angereicherten Orchester wie zu Beethovens Zeiten (es ist das fabelhafte ORF-Radio-Symphonieorchester Wien unter Leitung von Michael Boder) hat Jost einen dämonisch dräuenden, untergründig pulsenden Sound komponiert, der keinen Zweifel daran lässt, wer hier triumphiert. Alba hat die Macht, sein Credo „Spanien zuerst!“ (hic!) brutal durchzusetzten. Und das hört man. Er meint damit König, Kirche, vor allem aber die eigene Macht. Da Christoph Klimke einst auch für Johann Kresnik die Libretti schrieb, darf man nicht nur diese Passage seine Textes als einen bewussten Seitenhieb auf unsere Gegenwart mit ihren populistischen X-Y-zuerst!-Parolen nehmen.
Regisseur Keith Warner und sein Ausstatter Ashley Martin-Davis fügen dem Sog der Worte und der Klänge einen kongenialen szenischen Rahmen hinzu. Mobile, angeschrägte Zellen auf der Drehbühne, sich aus dem Schürboden abseilende Artisten und ein Schwarm stilisierter schwarzer Origami-Kraniche, der bei seinem Sturzflug auf die Erde eingefroren zu sein scheint, liefern den Rahmen für eine beklemmende Exkursion auf die dunkle Seite der Macht. Sie kulminiert in einem wortreichen Duell der Ideen und Konzepte zwischen Egmont und Alba. Und rein emotional in der Ermordung Margaretes durch Alba.
Schon im Libretto ist Herzog Alba deutlich profilierter als Graf Egmont. Mit Bo Skovhus ist der starke Arm König Philipps II. obendrein unschlagbar überzeugend besetzt. Er ist die stimmstarke personifizierte Skrupellosigkeit.
Da hat es Edgaras Montvidas per se schwer, seinen politisch naiven, schwärmerischen Egmont zu profilieren. Angelika Kirchschlager macht mit stimmlicher und darstellerischer Vehemenz aus ihrer Margarete eine lebensdralle Frau, die neben ihrem eigenen Wohlergehen, auch das ihrer Untertanen wirklich im Blick hat. Károly Szemerédy ist der finstere Sekretär für alle Fälle Macchiavell. Die wunderbare Maria Bengtsson hat als Egmonts Geliebte Clara das Privileg geradezu betörender Kantilenen und nutzt es überzeugend. Als Hosenrolle vermag es Theresa Kronthaler, den Zweifel und das Reifen von Albas Sohn Ferdinand glaubhaft zu machen. Zu diesem Protagonistenensemble kommen der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor und die Akrobaten, die die surrealen Elemente des Abends beisteuern.
In einer sich traumhaft auflösenden Schlussszene richtet Albas Sohn Ferdinand am Ende seine Pistole nicht wie er soll auf Egmont, sondern auf seinen Vater. Ein Startschuss für den Weg in eine bessere Welt dürfte das, was er hier vor hat, wohl nicht werden. Einhelliger Beifall für ein herausforderndes Stück Musiktheater.