Macht einfach Spaß, findet unser Kritiker Joachim Lange bei Giuseppe Gazzanigas „L’Isola d’Alcina“. Voremanzipatorisch subversiv im Gehalt, die Solistinnen und Solisten sind spielfreudig, das Orchester L’ARTE DEL MONDO brenne ein temperamentvoll sprühendes Feuerwerk ab. Ein verzauberndes „fürstliches Vergnügen“. Dazu Bilder und Töne von nmzMedia in unserem Bericht.
Unter den heute viel gespielten Opern von Georg Friedrich Händel hat es seine „Alcina“ in den letzten Jahren ziemlich weit nach vorn auf der Hitliste gebracht. Die Zauberin, die die Männer nicht nur an sich zu binden versteht, sondern gleich noch im Wortsinn vornehmlich in Tiere verzaubert – das hat auch als Geschichte in voremanzipatorischen Zeiten subversiven Reiz. Dazu kommen ein paar Nummern, die zum Auskoppeln vor allem für Gurgelvirtuosinnen gerne genommen werden. Aber Händels Version ist nur die heute bekannteste Variante einer oft vertonten alten, bühnenbewährten Geschichte.
Im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses gab es jetzt eine so gut wie unbekannte Variante, die sich über die überlieferte Vorlage und bei der Gelegenheit über die nationalen Klischees männlichen Balzverhaltens lustig macht. Nach der Uraufführung von Johannes Kalitzkes Novität „Kapitän Nemos Bibliothek“ hakt man sich im Programm der laufenden Schwetzinger Schlossfestspiele mit Giuseppe Gazzanigas „L’Isola d’Alcina“ gleichsam beim genius loci dieses Barocktheaters unter. Geboten wird der bekannte Stoff in einer originellen Variation. Zugleich wird ein Komponist wiederentdeckt, den heute nur noch Spezialisten kennen, der aber über die Hintertür mit der Aufschrift „Mozart“ oder auch „Rossini“ sofort den Zugang zum Publikum von heute findet. Und dessen Dramma giocoso per musica, so wie es in Schwetzingen in einer Koproduktion mit dem Oldenburgischen Staatstheater von Christoph von Bernuth (Regie), Piero Vinciguerra (Bühne) und Mathilde Grebot (Kostüme) auf die Barockbühne gezaubert wurde, einfach Spaß macht. Für den musikalischen Glanz sorgen Werner Erhardt und die 20 Virtuosen des Spezialorchesters L’ARTE DEL MONDO – wobei Glanz in dem Falle nicht ein ruhiges Schimmern, sondern ein temperamentvoll sprühendes Feuerwerk meint. Ganz so, als hätte Gazzaniga (1743-1818) den Ehrgeiz, dass er beim Wettlauf mit Mozart (vor allem seiner „Cosi fan tutte“) nicht auf der Strecke bleibt.
Die Bühne mit dem grün überwucherten Pavillon im Zentrum passt wie maßgeschneidert zum Ort der Aufführung – barocke Opulenz, in der sich auch deutlich moderner kostümierte Schiffbrüchige wohl fühlen könnten. Wenn da nicht die Gefahr lauern würde, über die wir von den beiden Insel-Mitbewohnerinnen Lesbia (Alice Madeddu) und Clizia (Margherita Maria Sala) rezitativisch ins Bild gesetzt werden. Die ankommenden Herren sind herzige und sofort an ihrem klischeehaften Aufritt erkennbare Vertreter ihrer Nationen. Kaëlig Boché ist als La Rose ein dauerflirtender Franzose. José Antonio López gibt den sprichwörtlichen stolzen Spanier Don Lopes als verhinderten Torero. Enrico Iviglia den Brunoro als typischen Sonnenbrillen-Italiener. Während William Wallace den etwas steifen englischen, mehr an Flora und Fauna interessierten Forscher James gibt. Da sie alle darum wissen, dass Alcina die Männer, die sich in sie verlieben, verwandelt, um sie ihrer umfangreichen Sammlung hinzuzufügen, schwört sich dieses europäische Männerquartett, der Gefahr bewusst aus dem Wege zu gehen. Was ihnen natürlich nicht gelingt.
Zunächst ist es die Wirkung, die Alcina (bzw. ihre Aura) auf die Männer ausübt. Den Rest besorgen ein paar einschlägige Tropfen Vergessens-Elixier im Willkommens-Cocktail. Während Alcina allerhand unternimmt, um ihrem Verführerinnen-Image gerecht zu werden, entdecken, die wohl auch nicht so ganz freiwillig auf der Insel lebenden Damen Clizia und Lesbia, dass ihre jeweiligen Landsmänner Lopes und Brunoro eigentlich besser zu ihnen als in die Sammlung Alcinas passen würden. Für die beiden wäre das endlich eine Chance zur Flucht in ein eigenes Leben.
In diesen Fluchtplänen findet auch der verspätet auf der Insel eintreffende deutsche Baron von Brikbrak seinen Platz. Florian Götz muss schlechte Sprachkenntnisse und eine gewisse hinterwäldlerische Grobheit der Auswahl von nationalen Klischees hinzufügen. Welchen deutschen Zwergstaat der Librettist Giovanni Bertati (1735 – 1815) da im Auge hatte, mag sich jeder Zuschauer selbst denken. Immerhin ist er es dann, der den Zauber der Alcina bricht, indem er ihr nachts ihren Zopf abscheidet. Damit endet nicht nur ihre Zauberkraft – auch ihre ewige Jugend ist dahin. Francesca Lombardi Mazzulli verkörpert die plötzlich steinalte Alcina, die die mit dem Ballon fliehenden ausgiebig verflucht, genauso überzeugend und koloratursicher wie die souverän ihre Macht über die Männer ausspielende Verführerin schlechthin.
Der kunstliebende pfälzische Kurfürst Karl Theodor hatte L’Isola d’Alcina am 2. Mai 1773 (ein Jahr nach der Uraufführung in Venedig) im Theater seiner Schwetzinger Sommerresidenz gleichsam als Auftakt für den freundlicherem Teil des Jahres aufführen lassen. Man kann sich das zusammen mit dem Park auch heute noch getrost als eine Art Gesamtkunstwerk vorstellen! Das spielfreudige Ensemble, inklusive der nach Herkunft „passenden“ Rollenbesetzung und einschließlich der witzig kommentierenden Übertitel, macht das Ganze auch heute zu einem fürstlichen Vergnügen. Für jeden.
nmzMedia: L'Isola d'Alcina von Giuseppe Gazzaniga