Wenn es gerecht zuginge, dann müsste man gemeinsam mit „Salome“ und „Elektra" auch Othmar Schoecks (1886-1957) „Penthesilea“ nennen. Neuerdings auch Aribert Reimanns „Medea“. Alles Frauen-Monumente des Musiktheaters von erheblicher Wucht. Die ersten drei wurden in der Dresdner Semperoper uraufgeführt. Doch nur die beiden Strauss-Einakter haben sich im Kernrepertoire gehalten. Schoecks Kleist-Oper ist dort erst 2008 in einer grandiosen Inszenierung von Günter Krämer dort wieder in Erinnerung gebracht worden. Die 2010 in Wien uraufgeführte „Medea“ von Aribert Reimann müsste es, schon weil sie eine Verlängerung dieser Reihe in die zeitgenössische Moderne ist, künftig auch mal auf den Dresdner Spielplan schaffen.
In Bonn hat jetzt Regie-Altmeister Peter Konwitschny (in einer Koproduktion mit dem Landestheater Linz) Schoecks „Penthesilea“ als Spielzeitauftakt auf die Bühne gebracht. Und das sozusagen in alter Frische. Denn er schickt sie nicht in eine Steilwand der Gefühle (wie Krämer es gemacht hat), noch entlässt er sie in die edle Einfalt stiller Größe der mythischen Kindheitsjahre Europas wie Hans Neuenfels in Basel. Konwitschny nimmt seinen Anlauf bei Kleist und führt das Substrat dieses Musiktheaters als solches vor. Gleichsam pur.
Dazu nehmen er und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker das Stück als musikalischen Diskurs zu einer der wenigen wirklich grundsätzlichen Menschheitsfragen an und als solchen auf. In dieser wohl tragischsten Variante des Männer-und-Frauen-passen-nicht-zusammen geht es um die Frage, welches Geschlecht das jeweils andere beherrscht. Zumindest hier wird durch ein grundsätzliches Gedankenexperiment die Vorherrschaft des Patriarchats in seinen Auswirkungen hinterfragt. Bei Konwitschny ist das schon immer ein zentrales Thema seiner Arbeiten.
Schoeck hat sich als sein eigener Librettist aus der Kleistschen Vorlage einen stringenten Plot destilliert: Die Amazone Penthesilea bleibt nach einem Kampf gegen Griechenheld Achilles bewusstlos auf dem Schlachtfeld zurück und wird von ihrer Freundin Prothoe gerettet. Achilles aber verliebt sich in die Ohnmächtige und will sie mit in seine Heimat nehmen. Er lässt sich darauf ein, Penthesilea einzureden, dass sie ihn besiegt habe, da es ihr ansonsten nach den Gesetzen der Amazonen nicht erlaubt wäre, mit ihm die Nacht zu verbringen. Als die Lüge auffliegt, ist Penthesilea außer sich vor Wut. Von der Oberpriesterin der Diana wird sie wegen ihrer verbotenen Liebe zu Achilles verurteilt und von den übrigen Amazonen verdammt. Achilles will sich nun (zum Schein) einem Zweikampf stellen, in dem Penthesilea ihn besiegen kann. Er hält es nicht für möglich, dass Penthesilea das anders sieht. So kommt er ohne Waffen zu dieser Schlacht, doch sie fühlt sich verraten und zerfleischt den völlig überraschten Achilles mit ihren Hunden. Danach nimmt sie sich selbst das Leben.
In Bonn sind die Zuschauer gleichsam ein Teil des Raumes, in dem sich dieser tödliche Zusammenstoß der Geschlechter vollzieht. Das Orchester ist auf der Hinterbühne postiert. Davor die Spielfläche, die von ein paar Sitzreihen mit echten Zuschauern (und Choristen) begrenzt ist. Im Zentrum sind zwei Konzertflügel in Stellung gebracht. Auf denen wird nicht nur ausgezeichnet von Lucas Huber Sierra und Meri Tschabaschwili gespielt. Man kann sich ebenso darunter verstecken, oder drauf klettern. Wie Geschütze werden sie im Kampf der Geschlechter über die Bühne geschoben. Die Priesterin meldet sich vom Rang aus mit ihren Zwischenrufen. Der Chor verlässt den Raum via Zuschauerraum.
Diese Kargheit der Bühne verblüfft zunächst, wird aber alsbald zum Schauplatz einer radikalen Sicht nach Innen. In das Innere der Akteure und in den Konflikt mit den Konventionen. Er versucht sich daraus lösen, Ihr gelingt das nicht. So ist das Verhängnis unausweichlich. Sie nimmt seine Aufforderung zum Kampf, die für ihn eine zum Tanz ist, ernst, besiegt und zerfleischt ihn, der eigentlich Küsse und nicht Bisse erwartet hatte.
Konwitschny überlässt vor allem die archaisch brutalen Bilder der Phantasie der Zuschauer und ermöglicht seiner Penthesilea am Ende die Flucht in eine andere Wirklichkeit. Sie ist für ihren letzten großen Auftritt ver-rückt. In eine Art von Wahnsinn. Nachdem Penthesilea Achilles auf der Bühne erschossen und sich selbst die Pistole an die Schläfe gesetzt hat, wechselt sie das Genre und kehrt als Konzertsängerin mit der Partitur in der Hand ans Mikrophon zurück. Für die Amazonen und die Oberpriesterin ist diese Art von reißerischer Kriegsberichterstattung in noblem Rahmen zu viel und sie verlassen, in einer Haltung zwischen empört und verständnislos, türenknallend den Saal.
All das wird zu einem packenden Theaterabend, weil sich Peter Konwitschny wieder einmal als Meister einer Personenregie erweist, die noch jeden archaischen Raum und eine exemplarische Zeit wie von selbst imaginiert.
Für den musikalischen Rausch der pausenlosen 90 Minuten sorgt am Pult des Bonner Orchesters Dirk Kaftan, der mit diesem hochexpressiven, zuweilen ins genüsslich spätromantische Schwelgen gleitenden Werk, sein furioses Debüt als GMD gibt. Souverän im Umgang mit der sperrig streicherarmen Instrumentierung und der Hervorhebung der beiden Klavierpartien und dem spätromantisch geschulten, originell expressiven Ton Schoecks. Diese Musik folgt geradezu lakonisch Kleists hohem Ton, steigert sich dann aber auch in eine großformatig aufschwingende Opulenz.
Dshamilja Kaiser und Christian Miedl sind vokal und darstellerisch maßgeschneidert für diesen Clash der Geschlechter in Gestalt von Penthesilea und Achilles, auf die das Ganze ja immer wieder zuläuft. Aber auch die übrigen Protagonisten tragen ihren Teil zur emotionalen Wucht des Abends bei. Ob Aile Asszonyi (Prothoe), Ceri Williams (Oberpriesterin) oder Kathrin Leidig, Marie Heeschen, Johannes Mertes, Christian Specht und Brigitte Jung – das Ensemble ist durchweg erstklassig. Die Zustimmung des Publikums entsprechend.