Die Neuproduktion von Wagners „Tristan und Isolde“, die die elsässische Opéra national du rhin jetzt in Straßburg herausbrachte, ist vor allem ein musikalisches Ereignis, das im Graben stattfindet. Dabei geht der aktuelle Bayreuther Holländer-Dirigent und Musikchef der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf Axel Kober am Pult des Orchestre philharmonique de Strasbourg durchaus präzise und eigenwillig zu Werke. Und das nicht, weil er die ersten paar Takte des Vorspiels wiederholt, weil ihm ein Handy in Seniorenhand den Auftakt fröhlich vermasselte. Da bewies er Nervenstärke.
Nach geglücktem Start lässt er dann die Leidenschaften fluten, bleibt in den Tempi individuell, dynamisiert einerseits, lässt aber andererseits bei König Markes großem Monolog die Zeit fast stillstehen. Zum Glück hat Attila Jun den Atem und die Erfahrung, sich davon nicht lähmen und seine Stimme dennoch balsamisch fließen zu lassen. Mit ihrer Eloquenz und wohltimbrierten Gestaltung ihrer Rollen sind sowohl Michelle Breedt als Brangäne, als auch Raimund Nolte als Kurwenal die Stützen des hohen Paares.
Dass Ian Storey mittlerweile ein altgedienter Tristan ist, hört man ihm an. Dafür hat er die Fähigkeit, da zuzulegen, wo es nötig ist. Auf die Wahnfantasien des dritten Aufzuges kann er sich so zu konzentrieren, dass ihm tatsächlich eine beachtliche Steigerung in „seinem“ Akt gelingt.
Auch Melanie Diener punktet mit ihrer gleichbleibenden Kondition und puren Durchschlagskraft, wenn man sich an den metallischen Klang ihrer Stimme gewöhnt hat. Dann beginnt man die deutliche Artikulation zu schätzen, mit der sie bis zum Liebestod ihre Präsenz abrundet. Eindruck macht der Effekt, die Hörner der langsam abrückenden Jagdgesellschaft zu Beginn des Mittelaktes vom Rangfoyer aus zu hören.
Die Sänger haben nicht nur Axel Kober und das Orchester auf ihrer Seite. Sie profitieren über weite Strecken durchaus auch von der Bühnenarchitektur, die der Brite Antony McDonald neben der Regie und den Kostümen ebenfalls verantwortet. Bei der Kombination aus Rampenpostierung und Wand im Rücken haben die Töne kaum eine andere Chance, als über den Graben hinweg auch wirklich bei den Zuschauern anzukommen. Ob es nun die schweren Schiffswände im ersten, die Außenwand der Nobel-Absteige mit Terrassenfenstern im zweiten oder die des bretterbudenhaften Krankenlagers im dritten Aufzug sind.
Mit der szenischen Überzeugungskraft freilich ist es in dieser höchstens an die Achtziger Jahre erinnernden Inszenierung nicht allzu weit her. Das ist schon sehr konventionell gedacht; bei dem eher unmotiviert dekorierenden Auftritt von Choristen für einen Bühnen-Routinier sogar erstaunlich dilettantisch. Selbst wenn bei dem konkreten Hotelzimmer mit großgemusterter Tapete, Doppelbett und Meerblick im zweiten Akt erst die Außenwand zur Rampe hin und dann die andere zum Meer hin verschwindet, weitet sich das Ganze nicht zu einem imaginären Raum, mit einem echten „löse von der Welt mich los“ Zauber. Oder, wenn schon bald nach dem Isolde zu ihren „Mild und leise“ anhebt, hinter ihr eine schwarze Wand herabsinkt, was ihre wachsende Entrückung verdeutlich, wieder verschwindet und Isolde verdutzt einen vollkommen leergeräumten Raum vorfindet, bleibt der Schock des Banalen hinter den magischen Momenten, um die es vielleicht gehen sollte, doch nur eine Behauptung.
Bei dem Stellenwert, den die elsässische Rheinoper für die Kultur in der deutsch-französischen Grenzregion inzwischen hat, war die Ankündigung des umtriebigen Intendanten Marc Clémeur schon im September 2016 vorfristig aus seinem Vertrag auszusteigen eine Überraschung. Mit allen Risiken, die ein anstehender Intendantenwechsel mit sich bringen kann. Anders als bei dem bevorstehenden Wechsel von Nicola Joel zu Stephan Lissner an der Pariser Oper ist es am französischen Rheinufer nicht an der Zeit einen Kurswechsel herbeizuführen, sondern einen erfolgreichen beizubehalten.